Zwei Tage FAZ Vollstudium – Lesearbeit im Urlaub: ein Selbstversuch

02 Sep
2. September 2021

Beitrag 258/September 2021

Guten Tag,
eine Tageszeitung wie die Frankfurter Allgemeine hat pro Seite zwischen fünf und neun Beiträge, kurze und lange, Nachrichten, Reportagen, Kommentare, Bilder nicht gerechnet und ohne Lokalteil und Verlagsbeilagen. Sonderausgaben wie Technik und Motor oder Natur und Wissenschaft werden umfassen vier Seiten. Die beiden Ausgaben vom 30. August und 1. September hatten 28 Seiten +4 Seiten Sonderteile. Ohne es also genau ausgezählt zu haben, kommt der Leser auf 150 bis über 200 Lesestücke, wenn er den Ehrgeiz hat, die Zeitung von vorne bis hinten gründlich zu lesen. Schaut er sich eine vermeintlich gründlich gelesene Zeitung nochmals an, stellt er fest, dass er grob geschätzt 60 % genau gelesen hat, 20 % wie üblich überflogen und 20 % übersehen hat. Kurzum: Das Zeitungsstudium kann einen Strandtag füllen, zumal wenn zwischendurch noch mal mit Ehefrau und Freunden geplaudert und Hund und Wetter beobachtet sein wollen.
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Was bleibt denn eigentlich hängen? Wenn man beim Lesen mit dem Textmarker arbeitet und sich die angefärbten Stellen hinterher betrachtet, stellt man fest, dass einerseits Sätze angestrichen wurden, die Positionen unterstreichen, die der eigenen entsprechen, andererseits aber doch Argumente notiert werden, die einem in dieser Form vielleicht noch nicht begegnet sind (oder die man wieder vergessen hatte).
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Ich beginne mit der Wiedergabe einer besonders übergreifend gemeinten Aussage und verbreitere diese nochmals: „Die Bereitschaft zum Kompromiss ist geringer, der Ton der Auseinandersetzungen schärfer und verletztender geworden.“ Dieser Satz ist von Herausgeber Berthold Kohler auf Deutschland gemünzt, bezogen auf die Themen Energiepolitik, Impfen und, kurios aber wahr, das Binnen-I. Dahinter steht die These: Die politischen Lager würden stärker zerfallen als früher. Noch allgemeiner lautet die Behauptung, die Gesellschaft würde stärker zerfallen als früher. Hauptursache sollen die Globalisierung und die damit einhergehende Auseinanderentwicklung zwischen Menschen mit und von Menschen ohne Chancen sein, innerhalb der Länder und im Vergleich der Kontinente. Bessere Chancen haben verallgemeinernd Menschen, die dort leben, wo die Bevölkerung langsam oder gar nicht wächst. Auch die Klimaveränderungen richten dort, wo das Wachstum der Bevölkerung stärker ist, stärkeren Schaden an. Die Pandemie, so geht die Argumentation weiter, habe alle diese Gegensätze noch deutlicher hervorheben lassen.
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Die ganzseitige Reportage von Claudia Bröll aus Phoenix, Südafrika, zeigt, wie Gegensätze von Bevölkerungsgruppen, hier zwischen Schwarzen und lange in Südafrika lebenden Indern, schwelen und jederzeit losbrechen können. Hier war der Auslöser der lange verzögerte Haftantritt des früheren Präsidenten Jacob Zuma, eines überaus korrupten Zulus mit nach wie vor treuer Gefolgschaft. Unruhen und Plünderungen in mehreren Provinzen folgten den Protesten und als es der bedrohten indischen Community in Phoenix bei Durban, dort wo einst Mahatma Gandhi gelebt und gewirkt hatte, gelang, die Übergriffe durch selbstorganisierte auch bewaffnete Nachbarschaftsverteidigung abzuwehren, die Polizei war nicht in Erscheinung getreten, riefen die linksradikalen Economic Freedom Fighters anschließend zum Marsch nach Phoenix gegen rassistische Inder auf. Von einem Massaker mit 100 Toten war die Rede, offensichtlich übertrieben nach Sprache und Fakten. Ein Bischof, Zuma verbunden, marschierte mit Kollegen im Protest zur Polizeiwache von Phoenix und forderte auf, den Tod der mehr als 30 unschuldigen schwarzen Menschen aufzuklären. Bevor man nun den Argumentationslinien wie oben ausgeführt folgt, ist es gut zu wissen, dass schon 1949 und wieder 1985 gewaltsame Übergriffe von Schwarzen auf Inder erfolgten.
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Und Deutschland? „Der Glaube, das Land sei gut gerüstet für Herausforderung aller Art, ist nicht nur von Steinzeit – Islamisten, sondern auch von einer Flutkatastrophe und vor allem von einem Virus erschüttert worden. Die Seuche deckte erbarmungslos Schwächen im politischen System, der Verwaltung und der Infrastruktur auf.“ Diese zentralen Aussagen im Kommentar „Die Chance nach Merkel“ eines der Herausgeber (Berthold Kohler) dürften in der hiesigen Bevölkerung weithin auf Zustimmung stoßen. Alle drei Themen werden in den beiden Ausgaben auf verschiedene Weise beleuchtet
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Zu Afghanistan schreibt der Londoner FAZ Korrespondent Jochen Buchsteiner in Erwiderung auf einen Beitrag von Navid Kermani , der die Auffassung vertreten hat, „Es hätte gelingen können“: „Nein, hätte es nicht, niemals.“ Es habe zwar Afghanen gegeben, insbesondere auch Frauen, die den von den Interventionisten gewünschten Weg einer Modernisierung nach westlichem Vorbild gernund vertrauensvoll mitgegangen seien, „aber noch größer waren die Beharrungskräfte.“
Was die Flüchtlinge aus der muslimischen Welt angeht, so wählen sie, Buchsteiner folgend,“ den Westen nicht wegen, sondern trotz seiner Freiheiten, die sie allzu oft als Bedrohung der eigenen Familienwerte betrachten.“
Der Autor rät dringend davon ab, weiterhin den Versuch zu machen, in islamischen Krisengebieten unsere Werte exportieren zu wollen. Eine Transformation könne man nicht exportieren, sondern sie müsse von innen kommen. Buchsteiner rät, statt des Exports die Verteidigung zu stärken, „namentlich gegen die neue Weltmacht China“. Die USA hätten dies augenscheinlich gelernt.
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Einen Tag zuvor hatte übrigens im Leitartikel auf Seite 1 Nikolaus Busse „Zurück zur Realpolitik“ eine ähnliche Aussage getroffen: Der amerikanische Präsident suche „vor allem Verbündete zur Eindämmung Chinas“, endete sein Kommentar.
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Zur Flutkatastrophe gibt es in der Ausgabe vom 1. September im Politikteil einen Bericht über eine Diskussion im rheinland-pfälzischen Landtag. Oppositionsführer Christian Baldauf zählte Fehler der Regierung auf und kam zu dem Vorwurf, die Landesregierung habe möglicherweise im Sturm die Brücke verlassen. Es sei zu tödlichem Unterlassen gekommen. Erwartungsgemäß verwahrten sich die Regierungsparteien gegen diesen Vorwurf und nannten ihn unverschämt und hinterhältig.

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Fest steht, dass es wohl eine ganze Kette von Versagen gegeben hat, wie auch ein zweiter Beitrag nahelegt, bei der auf der Medienseite der Zeitung nach der Rolle des SWR, also des für Rheinland-Pfalz zuständigen ARD Senders, gefragt wird. In der Hochwassernacht vom 14. auf 15. Juli gab es einen Mitarbeiter im Funkhaus. Im Normalfall reiche die reduzierte Personenzahl aus, wurde offiziell nach dem Unwetter mitgeteilt. Dass dies kein Normalfall war, haben die Verantwortlichen im Sender offensichtlich nicht mitbekommen und verweisen auf mangelnde Warnungen zuständiger Landesbehörden. Das am 14. in den Spätnachrichten kurz vor 22:00 Uhr ein Reporter aus der Eifel von einem „rasant steigenden Wasserpegel“ und „von Häusern, die wirklich absaufen“, berichtete, , so der FAZ-Bericht, hatte die Verantwortlichen im Funkhaus nicht aktiviert. Der Sender beschäftigte sich in den Tagen danach ausführlich mit dem Versagen des Landrats im Ahrtal , der erst nach 23:00 Uhr den Katastrophenfall ausgerufen atte und dafür heftig kritisiert wird. Mit dem eigenen Verhalten beschäftigte man sich, dem Bericht der FAZ folgend, nicht. Jedenfalls nicht medienöffentlich.
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Die Impf – Diskussion macht sich im Augenblick an der Frage fest, ob Arbeitgeber ihre Beschäftigten fragen dürfen, ob sie geimpft sind. Unter dem Titel „Politik als Luftfilternummer“ geht Jasper von Altenbockum in seinem Kommentar das Thema grundsätzlicher an: „Traurige Wahrheit ist, dass nicht eingetreten ist, was sich die übergroße Mehrheit der Bevölkerung im vergangenen Jahr gewünscht und die Politik als Ausweg aus der Pandemie versprochen hatte: Herdenimmunität durch Impfung.“ Auf diesem Hintergrund sei die Diskussion um Luftfilter nicht „Symbol einer langsamen, sondern einer verirrten Coronapolitik geworden…. Wären alle Beteiligten, um die es jetzt noch geht, im Namen der Freiheit geimpft, müsste über den Lockdown. nicht mehr geredet werden.“
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Natürlich geht es in beiden FAZ Ausgaben auch um den Wahlkampf, beispielsweise mit einer langen Reportage über die angebliche oder tatsächliche Entfremdung des einst so harmonischen Spitzenduos der Grünen. Warum die Partei sich überhaupt entschied, die Gleichrangigkeit von Habeck und Baerbock aufzulösen, wird in der Reportage nicht erörtert.
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Im Feuilleton gibt es zwei Beiträge zum sogenannten Triell, zum Aufeinandertreffen der drei Kanzler Kandidaten bei RTL.Beobachter Claudius Seidl schreibt grundsätzlich und argumentiert gegen alle drei. „Wer das eigene Programm fehlerfrei, präzise und in der angemessenen Lautstärke herunterrattert, der rattert immer noch nur das Programm herunter. Wer jede Pointe, jede Ironie und das Bekenntnis, auch mal etwas nicht zu wissen, verweigert, der zeigt damit nicht nur einen Mangel an Respekt vor der Intelligenz des Publikums. Er offenbart damit auch, wie schwer es ihm fällt, sich ein Jenseits der Parteiprogramme vorzustellen.“ Und dann offenbart Seidl, wie er es sich vorstellt, wie es sein müsste. „Dieses Jenseits ist aber der Ort, wo die moralischen, ästhetischen und womöglich die religiösen Kraftquellen guter Politik liegen könnten. Und zugleich ist es der Ort, wo das Volk sitzt und zuschaut und wie es an diesem Abend wieder hieß, abgeholt werden könnte. Wenn es der Auftrag der Politik ist, dem Volk das gute Leben zu sichern, dann sollten Politiker fähig sein, in ihren Performances auch einen Vorschein dieses Lebens zu inszenieren.“

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Von dieser hohen Warte ist es ein weiter Weg bis zur Verärgerung des Andy Murray über seinenTennisgegner Stefano Tsitsipas , der bei einem engen Match bei den US-Open sich acht Minuten Zeit nahm, um pinkeln zu gehen und sich bei dieser Gelegenheit in trockene Kleidung zu werfen, während sein Gegner wartete und wartete. Murray verlor das Match. Tsitsipas hat gegen keine Regel verstoßen. Die Frage, ob man eine Regel genauer fassen muss, wenn Fairnessgebote nicht mehr befolgt werden, ist keine, die nur auf dem Tennisfeld immer wieder neu gestellt und beantwortet werden muss.

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