Gastbeitrag Strachwitz: Massives Staatsversagen in der Pandemie

28 Jun
28. Juni 2021

Blog 255, Juni 2021
Guten Tag,
wenn jemand das sagt, was man selber sagen würde, wenn man es könnte,dann soll er das bitte tun.

Mit herzlichen Grüßen
Henning v. Vieregge
Vergl, auch den Beitrag von Rupert Graf Strachwitz, Rotary gehört zur Zivilgesellschaft: Neue Chancen für eine alte Institution, in: Henning von Vieregge, Reinhard Fröhlich, Hans-Werner Klein (Hrsg.), Clubleben im Stresstest, bestellbar kostenlos (freiwillige Spende erbeten) über Rotaryverlag/Shop

Rupert Graf Strachwitz,
(aus dem Vorwort des gerade publizierten Jahresberichts der Macenata-Stiftung)

Was für ein Jahr! Kluge Menschen, nicht zuletzt aus der Zivilgesellschaft, hatten jahrelang gewarnt, die Frage sei nur, wann, nicht aber, ob wir von einer Pandemie heimgesucht werden würden. Aber die Regierungen wollten es nicht hören.
Als die Pandemie dann ausbrach, behaupteten sie allen Ernstes, sie hätten sich das nicht vorstellen können, aber nun würden sie alles in die Hand nehmen, um Schaden von den Bürgerinnen und Bürgern abzuwenden. Für eine abschließende Bewertung, ob und inwieweit sie dies geschafft haben, ist es zu früh – und wir als Denkwerkstatt für Zivilgesellschaft und Philanthropie können nur einzelne Facetten dazu beisteuern.
Was uns aufgefallen ist, ist der große Gegensatz zur letzten großen Krise bei der Frage, wie sich die Bürgerinnen und Bürger helfend einbringen können. Damals war klar: Das berühmte „Wir schaffen das!“ war ohne bürgerschaftliches Engagement nicht zu verwirklichen, und in der Tat engagierten sich in der organisierten Zivilgesellschaft ebenso wie spontan -zig Tausende und schafften es. Jetzt war und ist nur noch von der „Bevölkerung“ die Rede, die den immer neuen Anordnungen zu gehorchen hat. Wer das auch nur partiell nicht widerspruchslos tat, sah sich schnell als Verschwörungstheoretiker, Unruhestifter und im schlimmsten Sinn „Querdenker“ abgestempelt.
Sachkenntnis und Erfahrung wurden ebenso vom Tisch gewischt wie Einsatzbereitschaft und Empathie. Es regierte der allmächtige Verwaltungsstaat –selbst dann noch, als längst klar war, daß dieser es eben nicht schaffen würde, zumal er politischen und das hieß allzuoft vom Wahlkampf bestimmten Vorgaben folgen mußte.
Die Pandemie hat das Vertrauen in die immer gepriesene deutsche Staatsverwaltung grundlegend erschüttert und lange verdrängte schwere Defizite offengelegt. Der Digitalisierungsrückstand ist nur eines davon. Zu konstatieren ist ein massives Staatsversagen.
In dieser Lage hat die Zivilgesellschaft die ebenso undankbare wie schwere wie notwendige Aufgabe zu helfen, wo sie kann,

aufzufangen, was unterzugehen droht und Defizite anzuprangern, wo immer dies notwendig ist. Die Zivilgesellschaft ist wohlgemerkt kein Ersatz für einen nicht funktionierenden Staat. Sie ist nicht dazu da, Lösungen zu entwickeln oder gar umzusetzen. Dafür subventionieren wir den Staatsapparat mit weit über 1 Billion Euro im Jahr. Aber sie tritt selbstermächtigt an, um für das Gemeinwohl zu arbeiten.
Vier Aufgaben stehen jetzt im Vordergrund:
1. die Wiedereinrichtung, ja Rettung der vielen, oft kleinen freiwilligen Gemeinschaften, die für viele Menschen ein zentrales Element ihres Lebens bilden und deren Wegfall im Shutdown und Lockdown zu schweren Schäden geführt hat, deren Folgen für die Gesellschaft noch gar nicht abzusehen sind;
2. die Weiterführung, vielfach Ausweitung der vielfältigen Dienste an Mitmenschen, die auf Hilfe angewiesen sind, unter erheblich erschwerten Bedingungen;
3. die Herstellung von Öffentlichkeit für Mängel ebenso wie für Ideen zur Überwindung der Krise und zur Schaffung einer Post-Corona-Demokratie;
4. die aktive Mitwirkung an dem Jahrhundertwerk der Schaffung einer Post-Corona-Demokratie, das gewiss nicht den Parteien allein überlassen werden darf.

Die erste dieser Aufgaben wird von Politik und Verwaltung vollständig ignoriert; die zweite wird mit großer Selbstverständlichkeit von der Politik in Anspruch genommen, aber kaum anerkannt oder gewürdigt; die dritte wird nach Möglichkeit bekämpft; die vierte schließlich wird wiederum ignoriert.
Dieser Befund könnte mutlos machen. Ja, man könnte darüber verzweifeln. Warum wir ausgerechnet in einer schweren Krise, in der es eigentlich auf jede und jeden ankäme, von einem Neo-Etatismus sprechen müssen, ist für uns als teilnehmende Beobachtende mehr als schmerzlich. Dass ausgerechnet jetzt das Wort vom shrinking civic space, vom bedrängten bürgerschaftlichen Raum, nicht nur Konjunktur hat, sondern immer wieder neue Bestätigung findet, ist unfassbar. Warum auch die Medien überwiegend glauben, so etwas gäbe es nur in fernen, autokratisch regierten Ländern, zeugt von einer beängstigenden partiellen Wahrnehmung. Sie hat natürlich auch etwas mit Geld zu tun. Nicht im entferntesten kann die Zivilgesellschaft den Aufwand zur Information und Fehlinformation der Medien betreiben, den sich Staat und Wirtschaft leisten können.
Aber Mutlosigkeit ist nicht Sache der Zivilgesellschaft. „Ehrenamtliche“ arbeiten auch dann täglich in den Impfzentren und vielen anderen sozialen Einrichtungen, wenn ihr Einsatz kaum Erwähnung findet. Sie arbeiten daran, Menschen wieder zusammenzuführen, die über ein Jahr isoliert und oft sehr einsam waren. Sie erheben die Stimme – unter Beachtung aller Regeln (von denen viele ja durchaus ihren Sinn haben). Sie arbeiten an Ideen, Vorschlägen und Modellen, wie man es besser machen kann.
Vollständig: file:///D:/Bibliotheken/Downloads/Jahresbericht%202020.pdf

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