Brief 17/2011: „Ich appelliere an Ihre Ehre“

29 Mrz
29. März 2011

Die Diskussion um Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg ist auch eine über den Adel

Eine Doktorandin, die zur Zeit zum Thema Adel eine Dissertation schreibt, berichtete, dass sie mangels Literatur Adelige über ihr Leben erzählen lässt, um dann mit diesem Material zu entscheiden, ob sich Besonderheiten einer sozialen Gruppe herausschälen lassen. In der Diskussion um Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, die in seinen Rücktritt mündete, gerade mal vier, fünf Wochen ist das her, gab es Adelsbesonderheiten seitens der Kritiker. Erinnert sei an die Bemerkung des stellvertretenden Vorsitzenden der Linkspartei, Dietmar Bartsch, am 23. Februar 2011 im Bundestag: „Ich appelliere an Ihre Ehre: Früher wusste der Adel, was an so einer Stelle zu tun ist!“

254.668 Menschen (Stand Ende März 2011) haben sich in Facebook als Freunde Guttenbergs eingetragen und sich damit als Sympathisanten von“ KT“ kenntlich gemacht. Er hat viele Diskussionen entfacht, nicht nur um den Wert und Anspruch von Dissertationen, sondern auch über den Adel.

Ein Beitrag in der NZZ vom 6. März 2011 von Anne Urbauer stand unter der Titelzeile „Vom Schein des deutschen Adels, Warum die Deutschen sich noch immer von Blaublütigen blenden lassen“. Demnach gibt es rund 100 000 Adelige in Deutschland, die „eine Sphäre dominieren: die Phantasie vieler Nichtadeliger. Als Projektionsfläche sind sie unverzichtbar.“

Eckart Lohse schrieb in der FAZ Sonntagszeitung vom 11. September 2009, also zu einem Zeitpunkt, als Guttenberg , wie es einleitend heißt, „astronomische Beliebtheitswerte“ erreicht hatte und weit davon entfernt schien, in nächster Zukunft ins Trudeln zu kommen, einen langen Beitrag über ihn unter der denkwürdigen Überschrift „Der Gast“.

Lohse zitiert einen Adeligen, den Unternehmer Hasso von Blücher, als Kronzeugen für die Behauptung, wonach der Adel das ist, was andere aus ihm machen.

„Der Begriff adelig ist juristisch, wirtschaftlich und sozial entleert.nur noch Vorlage für fiktive mediale Abziehbilder. Aber die Sehnsucht ist geblieben. In dem Spiel der medialen Fiktionen kann Guttenberg mit sehr realen Versatzstücken operieren: einem Schloss, einem Hund, einigen Jagdgewehren, einer schönen Frau und noch dazu mit einem juristischen Doktortitel der Universität Bamberg. Eine eigenartige, unverwechselbare Mischung, die kein Medienberater synthetisch hätte herstellen können.“

Es steht tatsächlich Universität Bamberg im Beitrag. So genau kam es damals nicht darauf an. Lohses Schlusssatz : „Blücher. Irgendwie muss man unwillkürlich an Waterloo denken,““ verdient eine Kommentierung. Sollte der Journalist, inzwischen auch Biograph Guttenbergs, Waterloo als Synonym für größtmögliche Niederlage gemeint haben, hätte er sich als Prophet erwiesen.

Halten wir also fest „Adel ist Projektionsfläche“ und „ Vorlage für fiktive adelige Abziehbilder“. Übrigens gilt dies nicht nur im Positiven ,darauf macht Hans-Magnus Enzensberger in „Hammerstein oder Der Eigensinn“ in seiner Sechsten Glosse „Einiges über den Adel“ aufmerksam. Er erinnert an die polemische Figur des „Junkers“ und an den Spruch „Als Adam grub und Eva spann, wo war denn da der Edelmann?“. Dazu Enzensberger:

„In solchen Sprüchen drückt sich ein Vorbehalt aus, der sich offenbar gut mit der Lust am Boulevard mit seinen Märchen und Skandalen verträgt. Natürlich sind solche Regungen ihrerseits anachronistisch, schon weil der Blick von außen im Adel eine Homogenität vermutet, von der dieses Milieu weit entfernt ist“.

Einige Zeilen später gibt es bei Enzensberger eine Volte in der Argumentation, wenn er in diesem „buntscheckigen Milieu“ eine Reihe von Gemeinsamkeiten entdecken will und aufzählt: Familiensinn, Kinderreichtum, gegenseitige Hilfe in der Not, Gastfreundschaft, Geringschätzung nationaler Grenzen, Heiraten untereinander und weiterhin „allerhand aus der Mode gekommene Bräuche und Marotten“.

Enzensbergers Fazit:

„Vermutlich sind sie es (gemeint: die Gemeinsamkeiten), die erklären können, warum seine Lebenskräfte auch nach dem Funktionsverlust des Adels nicht erloschen sind.“

Warten wir auf die eingangs erwähnte Promotionsarbeit der jungen Adeligen über den Adel, um dann, hoffentlich auf stabiler Materialbasis, entscheiden zu können, ob der Adel aktuell in Deutschland mehr ist als die Einbildung der anderen über ihn.

Ich nehme bis zum Beweis des Gegenteils an, Adel ist beides. Fakt und Fiktion. Denn: Wer ausstrahlt, wird angestrahlt. Fremd- und Eigenverständnis sind Geschwister. Das gilt für jeden als Person und als Teil eines Milieus. Also auch für den einzelnen Adeligen und den Adel als Gruppe.

Was den Appell angeht, so muss man kein Linker sein, um Guttenberg zuzuraten, ihn ernst zu nehmen. Er hat doch genug Charisma und kann aufs Blenden verzichten und auf Selbstmitleid bitte auch. Das würde es einfacher machen, sich der Facebook Unterstützer Aktion anzuschließen und somit KTs Rückkehr in die Politik vorzubereiten. Als einem, der dem Adel Ehre macht.

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