Brief Nr. 27/2012: Vom Bürger- zum Bundespräsidenten
Joachim Gauck braucht sein Thema nicht zu suchen: Für die Bürgergesellschaft gibt es viel zu tun. Ein auffordernder Gratulationsbrief
Lieber Herr Gauck,
ich hatte in diesem Blog 2010 geschrieben, dass Angela Merkel Sie als gemeinsamen Kandidaten vorschlägt.
Was damals Wunsch war (und leider blieb), ist heute wahr geworden.
Ich gratuliere Ihnen sehr zur Nominierung als Bundespräsident. Bürgerpräsident waren Sie ja schon lange. Sie brauchen Ihr Thema nicht zu suchen. Das Thema hat Sie längst gefunden:
Sie werden als Präsident der Bürger für mehr Bürgergesellschaft eintreten. Verknüpfen Sie dazu Ihre Erfahrungen mit der Weisheit der Vielen und diskutieren Sie neue Wege der Demokratie!
Ein Beispiel: Der erfolgreich eingeführte Bundesfreiwilligendienst lässt, ein wirklicher Fortschritt, auch Freiwillige älterer Jahrgänge zu. Und entgegen der Unkerei der Träger damals wird dieses Angebot genutzt. Nun soll aber aus finanziellen Gründen bei 35 Tausend Freiwilligen genug sein. Dabei gibt es mehr Menschen, die sich engagieren wollen, und mehr Bedarf, der angemeldet ist. Ermuntern Sie bitte die Bundesregierung, die Tore weiter offen zu halten. Ungenutzt ist vielfach das Potential der Selbstständigen unter den Engagementwilligen: der Gründer und Ermöglicher. Nicht jeder von diesen kann neben Ideen und persönlichen Einsatz auch noch Geld mitbringen. Auch diese Freiheit muss man sich leisten können oder man muss unterstützt werden. Regen Sie an, dass potentielle Freiwillige auch selber Vorschläge für Stellen machen können. Was wir zum Ausbau des Engagements vor allem brauchen, sind Menschen, die andere zum Engagement ermächtigen, für sie Plattformen organisieren. Das kann in einem Stadtteil sein, einem Verein, einer Kirchengemeinde. Ich nenne Ihnen gern erfolgreiche Beispiele, wie aus wenig Geld für Personaleinsatz viel Power für Bürger entsteht: Das ist Ihr Thema!
Sie können der Moraldebatte in unserer Republik durch Leben und Reden wieder Maß geben: gegen ein raffiges, egoistisches Zuwenig und ein herzkaltes, individualfeindliches Zuviel. Gegen Ihre Gegner brauchen Sie die volle, streitbare Bürgersolidarität. Scheuen Sie bitte nicht, diese bei den Akteuren der Zivilgesellschaft einzufordern.
Ihre Unterstützer werden es Ihnen danken.
Mit besten Grüßen
Henning von Vieregge