Skifahrerbräune vom Balkon – Wie Annette ihre Tage in der Isolation verbringt

01 Apr
1. April 2020

Blog 228, 1. April 2020
Guten Tag,

Zu den beiden Fotos: Okay, Manches kam überraschend; wer denkt in Zeiten von Globalisierung schon daran, dass chinesische Katastrophen in Windeseile auch unsere sein können. Andererseits gibt es schöne Beispiele, wie die zusammenstehen, die ansonsten wenig miteinander anfangen können.

Also: Ich bleibe bei den optimistischen Texten als Gegenwurf zur Covid 19 Herausforderung und ich bleibe bei Fremdtexten.
Meine Berline Freundin Annette Schulte Döinghaus wurde vom Tagesspiegel für eine Kolumne, in der Berliner schildern, wie es ihnen gerade geht, um einen Text gebeten. Hier die Langform, in der Druckversion wurde der schöne Text gekürzt. Mir gefällt die Langversion besser. Danke, dass ich ihn hier nachdrucken darf.
Mit herzlichen Grüßen wünsche ich Lesevergnügen und verknüpfe den Wunsch mit der Anregung, es auch mal mit einem Tagesbericht zu versuchen.
Das Resultat gern an mich.
Henning v. Vieregge

Und hier Annettes Text:

Skifahrerbräune vom Balkon

Seit ein paar Tagen sitze ich vormittags
auf meinem Balkon – strahlend blauer Himmel,
die Sonne wärmt angenehm und bräunt
leicht mein Gesicht bis zum Kragen
des dicken Wintermantels, den ich
wegen des noch kalten Windes hoch
geschlossen habe.
Ich bin glücklich in dieser Stunde,
tanke Vitamin D und Lebensfreude,
dick eingecremt mit Sonnencreme SF 30.
Ich häkele wieder ein „Granny Square“,
ein Quadrat in hell-türkis, das sich am Ende
mit vielen anderen Quadraten in

schönen, bunten Farben
zu einer Babydecke für unser
Enkelkind einfügen soll.

Die Vorfreude auf das kleine Wesen
macht mich sehr glücklich und hoffnungsfroh,
dass ich diese seltsame, Angst machende
Zeit von Corona gesund und ziemlich
unbeschadet überstehe. Aus diesem Grund
fällt es mir nicht schwer, konsequent zu Hause
zu bleiben, der für mich sicherste Schutz,
mich nicht zu infizieren. Gott sei Dank ist
dieses kleine Wesen noch einige Wochen
an einem sehr sicheren Platz: im Bauch
seiner Mutter, die gut auf sich acht gibt
und liebevoll umhegt wird von unserem
Sohn!
Ich habe es gut und bin mir dessen
dankbar bewußt: ich bin nicht alleine
in der gemütlichen Wohnung, wir vertragen
uns gut zu zweit. Ich muss keine Kinder
beschulen oder betreuen, obwohl ich
meinen jüngeren Freundinnen sehr gerne
mit ihren Kindern behilflich wäre,
geht nicht, aus gutem Grund verboten!

Wir haben viele Möglichkeiten, die modernen
Medien zu nutzen. Gerade habe ich gestern
in der Digital Concert Hall, ein kostenloses Angebot
der Philharmonie Berlin bis Ende April,
Mahlers Dritte „Das Lied von der Erde“ gesehen
und gehört, ein Ohren- und Augenschmaus,
der mich sehr bewegt hat, eine wahnsinnige Musik!

Ich koche und backe „die Ecken leer“, bin sehr kreativ.
Ein bisschen Sport müsste ich in meinen Alltag
einbauen, damit ich nicht am Ende dieser Krise
als dicker fetter Pfannkuchen aus dem Haus rolle.
Unsere Kinder klingeln ab und an vorbei,
wir haben einen Balkon zur Straße,
von dem sich trefflich plaudern lässt.
Und – für meine sonst so empfindsamen Ohren
neu – sogar der kleine Aufzug, der immer noch
auf der Dachausbau-Baustelle direkt gegenüber
ständig mit fies-metallischem Getöse hoch
zum Dach rattert, stört mich „fast“ nicht.
Eher eine Botschaft aus der Normalität vor Corona.

So, das „Granny-Square“ in hell-türkis ist fertig,
die Sonne ist gleich um die Ecke verschwunden,
der Aufzug gegenüber kommt runter gerumpelt
– ich geh mal rein und zähle, wie viel Rollen
Klopapier wir noch haben…. und dann häkele
ich noch ein Quadrat in vanillegelb,
wie die Sonne am blauen Himmel.

Annette, Freitag, 27. März 2020,
Tag vier in verordneter Quarantäne,
freiwillig schon länger

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