(Nach-)Ostertexte Teil 1: Ein Brief nach Beit Jala

11 Apr
11. April 2020

Blog 229/April 2020

Guten Tag, Burghard Schunkert ist ein beeindruckender Mann. Er hat die Einrichtung Lifegate in Beit Jala bei Jerusalem aufgebaut, in der behinderte Kinder und Jugendliche tagsüber Unterstützung erfahren mit dem Ziel, sie möglichst so ins Leben zu entlassen, dass sie für sich selber sorgen können. Medizinische Eingriffe stehen oft am Anfang. Das Haus ist christlich geführt und lebt von Spenden und dem Verkauf hergestellter Waren. Auch ein Gästehaus gehört dazu. Jetzt, wo Touristen ausbleiben, dürfte die Existenzgefährdung dieser wertvollen Arbeit noch größer werden. In Deutschland gibt es einen Förderverein. Ich habe Schunkert einige Impressionen aus dem deutschen Corona-Land zu schicken.

Mit herzlichen Grüßen
Henning v. Vieregge

An den Leiter von Lifegate in Beit Jala bei Bethlehem

Lieber Herr Schunkert, alle Ihre Reisepläne auf Eis, nehme ich an? Ausgangssperre, habe ich gehört, in Beit Jala. Heisst dies, dass die Schützlinge daheim bleiben müssen?
Wie ist Ihre Lage?

Sie können sich denken, dass in Deutschland ziemliches Entsetzen herrscht. Erfahrungen im Experimentieren und Lavieren bestehen ja eher weniger als in den Ländern, in denen dies zum täglichen Handeln gehört. Andererseits herrscht hier die Vorstellung (und wird von den Politikern genährt): Wir haben Geld genug. Für uns.

Nicht nur die nationale Sicht blüht, sondern auch die regionale und lokale. Da gibt es beispielsweise einen Erlass, der die Bewohner von

Zweitwohnsitzen auf den Nordseeinseln zwingt, ihren Zweitwohnsitz zu verlassen. Obschon sie da mit Abstand und frischer Luft wahrscheinlich mehr Chancen hätten, die Pandemie zu überstehen als am Erstwohnsitz. Aber so verringert man die Zahl der Einwohner, für die das nächste Gesundheitsamt zuständig ist.

In Groß-Gerau wurde jemand mit Überweisung zur Untersuchung auf Covid 19 abgewiesen, weil er nicht im Landkreis wohnt.

Jedes Bundesland erlässt andere Sicherungsmaßnahmen oder solche, die Politiker dafür halten. In Berlin wurde mitgeteilt, Bücher lesen aus Parkbänken sei verboten.

Dass Deutschland von indischen und chinesischen Schutzmaskenherstellern abhängig ist und im Kampf jeder gegen jeden schwer gezockt wird, ist bekannt. In Deutschland jammern Medien und Politiker unisono über die frechen amerikanischen Aufkäufer. Dass wir mit unserem Geld anderen die Ausrüstung wegkaufen, ist hingegen nicht der Rede wert.

Der Außenminister, sonst einer, der gern mit Moral an die Adresse Dritter hantiert, wo eigenes Handeln gefragt wäre, rechtfertigt nun erstaunlicherweise die nationalen Alleingänge mit dem Beispiel aus dem Flugzeug, wo man sich ja auch erst einmal um sich selber kümmern müsste. Dass im Flugzeug die Katastrophe alle gleichzeitig trifft, in der Pandemie aber nicht, nimmt der Metapher ihre Glaubwürdigkeit.

So viel etwas Bericht aus deutschen Landen.
Mit österlichen Grüßen
Henning v. Vieregge

Schlagworte:, , , , , , , , ,
© Copyright - Henning von Vieregge