Der Robin Hood des Abfalls und die Mainzer Stadtspitze oder: Es geht doch auch vorbildlich. Wie Tübingen über bürgerschaftliches Engagement kommuniziert
Brief 54/2013
Guten Tag,
ich gebe zu, die Gefahr besteht, dass man dem eigenen Umfeld zu kritisch gegenübersteht und Dritten zu unkritisch. Hier in Mainz erlebe ich bei einem rotgrünen Bündnis durchweg Enttäuschendes zu Bürgerengagement und Bürgerbeteiligung. Dabei wurde im Wahlkampf viel versprochen. Da redete der SPD-Kandidat mit Emphase von der Wichtigkeit von Bürgerbeteiligung, jetzt als Oberbürgermeister vermuschelt er aufkommende Forderungen (Totalrenovierung oder Neubau Rathaus ?, Einkaufsklotz in der Innenstadt oder nicht?) und stößt nichts selber an. Der damalige Grünen-Kandidat prägte den geradezu aufrührerischen Slogan „Bürger, holt Euch Eure Stadt zurück!“. Als Stellvertreter des Oberbürgermeisters mit einer Parteifreundin als Gründezernentin. wird gezeigt, wie der Spruch eigentlich gemeint war : „Bürger, holt Euch unsere Arbeit und macht sie so, wie wir wollen.“
Wenn Bürger beispielsweise Grünanlagenpflege von der Stadt übernehmen sollen, freiwillig natürlich, sollen sie sich dabei bitteschön nach den Vorgaben des Grünamtes richten. Immerhin wird Freiwilligen, die schon länger Grünes pflegen, Straffreiheit zugesagt. Schließlich war solches Engagement bis eben verboten. Die Brunnen wurden im Juni letzten Jahres ohne jede Vorankündigung abgestellt und die Bürger aufgefordert, per Spende für Wasser marsch zu sorgen. Als vor wenigen Wochen ein Robin Hood des Abfalls , wie ihn die Lokalzeitung betitelte, auftauchte, der an den Straßenrändern Unrat sammelte, in rosa Säcke verpackte und abstellte, wurde er, der zunächst anonyme Wohltäter, von einem zuständigen Abfaller der Stadt über die Presse belehrt, dass sein Tun illegal sei und zudem Mehrarbeit produziere. 243 Säcke in zwei oder drei Tagen, eine Zumutung. Die Lokalzeitung stellte ihn, den Unbekannten, einen Tag später dann als Rainer Schäfer vor, einen Hartz-Vierer mit Sendungsbewusstsein und Tatendrang, und Leser schrieben begeisterte Briefe. Weder der rote noch der grüne Bürgermeister noch die zuständige grüne Dezernentin mochten sich den Lesern anschließen. Sie stellten ihre nöhlende Verwaltung nicht in den Senkel. Sie bedankten sich nicht bei Rainer Schäfer, der noch eine halbe Woche weiter sammelte. und auf über 600 Säcke kam. Sie schwiegen unisono: Der Oberbürgermeister, die Bürgermeister, die zuständige Dezernentin, die sich sonst jeden Tag gern mehrmals in der Zeitung finden. Die Mainzer Verwaltung forderte Robin Hood zur Kooperation auf, aber der erklärte, mit Bürokratie habe er es nicht so gern. Und verschwand nach einer Woche wieder Richtung Heimat. Mehr Einsatz konnte er sich finanziell nicht leisten. Er lebte auf dem Campingplatz und ernährte sich von Konserven. Mainz, das sich Fasnacht für Fasnacht durch alle Sitzungen ob seiner Weltoffenheit und Fremdenzugewandtheit lobt, blieb an der Stadtspitze stumm, verärgert und zugeknöpft.
Geht es auch anders? Der grüne OB Boris Palmer und seine Verwaltung zeigen in Tübingen, wie man es besser macht; die Verwaltungskommunikation pro Bürgerengagement in dieser Stadt ist vorbildlich. Man schaue sich nur an, wie respektvoll und umsichtig Bürger in die Grünpflege einbezogen werden, wenn sie es denn wollen. Boris Palmer hätte einen Rainer Schäfer als das behandelt, was er ist: als einen vorbildlichen Bürger in seinem zupackenden Eigensinn. http://www.tuebingen.de/buergerengagement
Mit herzlichen Grüßen
Henning v. Vieregge