Brief 13/2010: Freiwillig auf der Statusrutsche? – Ratschläge von Altgedienten – Eine Serie mit fünf Beiträgen
(4) (Selbst-) Entmutigungen

23 Sep
23. September 2010

Wer sich ärgern will oder scheitern möchte , wird genug Möglichkeiten finden, um sich zu ärgern oder mit seinen Ambitionen zu scheitern. Zum Beispiel, wenn man sicherheitshalber keine Signale aussendet, dass man zur Verfügung steht (für etwas, dass einem gut tut und vielleicht auch anderen) und prompt übersehen wird. Was als Statussicherung und Statustrost gedacht wird, wird –in der eigenen Wahrnehmung- zur Statusrutsche. Dieses Maleur läßt sich nicht einfach anderen in die Schuhe schieben. Und somit wächst die Versuchung, dem, was man eigentlich möchte, auszuweichen und sich lieber etwas vorzumachen.

„Einen habe ich gefragt, bei seiner Kapazität müßte er doch etwas machen. Er sagte, ja, könnte ich, will ich aber nicht. Dann hat er ein bißchen überlegt und gesagt: Es hat sich auch nicht ergeben. Ich räume ein, ich habe auch nicht richtig danach gesucht. Hätten mich jemand angerufen und gefragt, ob ich im Kirchenvorstand oder ähnliches mitarbeiten wolle, hätte ich es vielleicht gemacht. Aber die haben nicht gefragt. Mir geht’s gut, gell?“ hat er dann zu seiner Frau gesagt, und die lächelte. Was wir nicht wissen, ist. ob er gefragt wurde, und dann war es etwas, was ihm nicht so paßte. Und danach ist er nicht mehr gefragt worden. Also, ich glaube, daß es nur wenige gibt, die ganz verbittert zu Hause sitzen. Die meisten werden sich irgendwie einrichten.“

Es ist also zu vermuten, dass Kapazitäten brach liegen, haupt- wie ehrenamtlich, weil der Headhunter fehlt, der Angebote präsentiert und nachbohrt. Und prinzipiell gilt fürs Ehrenamt das Gleiche. Nicht jeder ist zum Unternehmer geboren und sozialisiert, erst recht nicht jeder zum Sozialunternehmer.

„Was machst du, wenn du zu Hause sitzt und sagst, ich habe noch Fähigkeiten, es ruft aber keine Sau an. Und dann denkst du dir, ich würde gern im Vorstand des Städelmuseums mitarbeiten, aber wie komme ich da hin? Wenn ich da anrufe und sage, ich will hier mitarbeiten, das geht doch gar nicht. Das sind dann diejenigen Menschen, die verzweifelt sind. So war das heute bei einer früheren Kollegin, die sagt, ich würde gerne etwas tun, weiß aber nicht, wie ich es machen soll. Und wer sich zu sehr aufdrängt, ist peinlich.
Es ist ja auch nicht jeder zum Engagement geeignet. Noch mal die Kirche als Beispiel: – wenn die Kirche sagt, ich mache einen Beirat für Immobilien, dann kriegt sie vielleicht 150 Bewerbungen. Und von 150 Bewerbungen will sie 145 nicht haben, weil das G’schafftlehuber sind, woanders rausgeflogen. Sie verstehen nichts davon, sie sind nicht adaptiert auf das, was die Kirche will.“

Die Konsequenz ist: der Neuberater in spe agiert äußerst zurückhaltend.

„Der Berufsbezeichnung nach bin ich jetzt consultant, aber das schreibe ich nicht auf meine Karte. Der Punkt ist ja auch, ich akquiriere ja auch nicht. Ich schreibe ja nicht Briefe ob ich mal tätig sein könnte. Es kommen Leute auf einen zu, und dann entwickelt sich was daraus und manchmal nichts.“

Und wenn dann nichts passiert? Weil man kein Spezialwissen hat. Weil man als zu eng gilt. Weil man für jemanden gehalten wird, der sich nicht in die neue Rolle hineinfinden kann. Wenn die Bestätigung ausbleibt, dreht sich der Teufelskreis der Selbstabwertung.

„Man erwartet ja, wenn man dann aufhört, oder zumindest teilweise, dass man von allen möglichen Leuten gefragt wird, ob man als Berater tätig sein will, quasi als Bestätigung, dass das Berufsleben was wert war.“

Und wenn man sich dann vermitteln lassen möchte von einem, der mit erwerbs- und nichtwerbswirtschaftlichen Anfragen traktiert wird, sind die Erfolge gering, wird berichtet. Die Empfehlung, sich an einen Erfolgreicheren zu hängen, mag man deshalb nicht geben.

„Ich kenne eine ganze Reihe von Kollegen, die aus ähnlichen Positionen ausscheiden, die solche Aufgaben auch gerne machen würden. Klar würden sie nicht zugeben, dass sie einiges mehr machen würden. Die warten aber und da kommt kein Anruf. Die fragen mich dann schon mal, wenn ich was höre … solche Gespräche für ich dann häufig mal. Ich will auch gerne behilflich sein. Es stellt sich bloß immer wieder heraus, wenn ich jetzt sage, ich kann nicht, habe keine Zeit, aber ich hätte den und den dass da , bis auf einen Fall, nie etwas draus geworden ist.“

Fehlt es an Nachfrage oder fehlt es aus Furcht vor Niederlage und Anbiederungsvorwurf an Signalen?

„Hier in einer zivilisierten Gesellschaft mit geistig gut durchtrainierten und geschäftlich erfahrenen Leitfiguren unterschiedlicher Formation, die bereit wären, etwas zu machen, fehlt die Nachfrage. Es wäre auch schwierig, sich offensiv anzubieten, weil man nicht weiß, biedert man sich an, und die anderen wissen nichts damit anzufangen, weil sie nicht darauf vorbereitet sind., oder ist man willkommen? Man kann ja nicht eine Tageszeitungsanzeige schalten.“

Wie kann man die Nachfrage stimulieren, die Transparenz erhöhen, das Matching aus der Zufälligkeit holen? Kann man die Generationsgenossen mit Aussicht auf Erfolg ermuntern, gegen den Anbiederungsvorwurf Signale des Interesses zu setzen?

„Ich glaube, dass Kapazitäten bei Managern in meinem Alter, die nicht mehr in der Firma arbeiten, brach liegen. Aber ich muss auch sagen, man muss auch signalisieren, dass man was tun will.“

Mitunter angesprochen wird das Problem der Intransparenz. Es wird in den Statements weniger auf den erwerbswirtschaftlichen Markt und die Angebotsbedingungen bezogen, als vielmehr auf Engagement-Markt. Das schließt aber nicht aus, dass hier wie da ähnliche Bedingungen gelten und Hindernisse bestehen.

„Sie denken, ich möchte, aber niemand fragt mich. Aber es ist ganz natürlich, dass niemand fragt. Dass macht es auch schwierig, was zu finden, wenn man nicht genau weiß, wie das funktioniert.“

Einschüchternd wirkt, so wird es beschrieben, das Altersbild. Genau in diesen Topf wird man nun geworfen und, so wird mit Resignation festgestellt, kann nichts machen.

„Dagegen, wie Öffentlichkeit Frühpensionierte wahrnimmt, kann man eigentlich nicht viel machen. Man muss mehr Selbstbewusstsein haben. Am Anfang kam ich mir komisch vor, wenn ich am Dienstag in die Stadt gelaufen bin und man ist nur unter alten Leuten, Frauen und Kindern. Dann siehst du so ein paar ausgemusterte Gleichaltrige.“

Die Beispiele vom längst arbeitslosen Nachbarn, der jeden Morgen mit Aktentasche das Haus verläßt, kennt man. Sie sind keine Fantasiegebilde.

„Der Wohnungsnachbar, der auch frühpensioniert ist, sagte ganz entschuldigend, „ich gehe jetzt in die Uni, studiere Mathematik“. Nur um sich eine Rechtfertigung zu geben, dass er am Dienstag Vormittag zu Hause anzutreffen ist. Das ist bei mir auch so gewesen, heute nicht mehr, nach 2-3 Jahren, aber zu Anfang war das ein ziemliches Unwohlsein.“

Eine weitere Strategie drängt sich auf, die nur all zu menschlich ist: Man findet sich nicht nur mit der eigentlich unerwünschten Situation ab, sondern preist sie sogar als eigentlich erwünscht. Aus der Not eine Tugend machen, heißt die irreführende Formulierung. Und was bietet sich an? Der Unterschlupf unter das Rollenbild, das man eigentlich als überholt kritisiert hatte. So wie man in aller Vorsicht den sicheren Hafen verlassen hatte, offen lassend, ob man eine kleine Vergnügungstour entlang der Küste oder eine große Abenteuertour in fremde Gestade vor hat, so wendet man das Schiff wie beiläufig und erklärt, wie schön doch so ein kleiner Ausflug ist und wie herrlich es sein wird, am Abend wieder im Hafen zu sein. Von den heimlichen Bemühungen, zur großen Fahrt zu kommen, muß ja keiner etwas erfahren.

„Wenn einer sagt, ich will eigentlich nicht mehr arbeiten, das wird mir ja auch doch alles weggesteuert, und du merkst, er würde gerne etwas tun, dann hat er bestimmt noch kein Angebot. Aber es ist natürlich peinlich zu sagen, es hat immer noch keiner angerufen. Wenn das einem zweimal passiert, antwortet man natürlich was anderes: z. B. ich will ja nicht ins Hamsterrad zurück, ich mache jetzt mit bei meinem Hospiz oder ich gehe in den Kirchenvorstand, oder ich gehe jetzt nur noch ins Museum oder reise. Warum sollte ich denn überhaupt noch arbeiten? Und dann ist da jemand, der wird pensioniert, und zu dem kommt seine alte Company und sagt, bei dem und dem Projekt mußt du aber noch mal mitarbeiten, oder komme in den Aufsichtsrat, oder werde bei uns Business Angel, und du fragst den, dann sagt er: Tja, nur die Guten kommen in den Garten. Ich kann mich gar nicht retten vor Angeboten. Ich weiß gar nicht, was die anderen für Probleme haben.“

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Am 12. August erschien der Beitrag 1 mit den grundsätzlichen Empfehlungen,
am 26. August folgte Beitrag 2 mit den strategischen Empfehlungen,
ab 9. September konnten Sie die taktischen Ratschläge (Beitrag 3 der Serie) lesen und am 23. September folgten die Entmutigungsstrategien (Beitrag 4).
Ab 7. Oktober folgt der fünfte und letzte Beitrag „Tröstungen“

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