Wie Kirchengemeinden effektiver kommunizieren +++++ Neun Empfehlungen

04 Jul
4. Juli 2016

Blog 124/Juli 2016

Kreuz im Nebel: Hier hilft keine Positionierung Kreuz im Nebel: Hier hilft keine Positionierung

Guten Tag,

Erfolgreiches Werben nimmt im Aufmerksamkeitswettbewerb durch konsequente Nutzerperspektive und berührende Emotionalität die erste Hürde: es wird wahrgenommen. Ob die Botschaft dann auch verstanden wird und ob ihr gefolgt wird, das sind Anschlussfragen. Also müsste ich, bezogen auf diesen Text, die Nutzerfrage „What’s in for me?“ überzeugend beantworten. Was haben diejenigen, denen – um die Überschrift zu bemühen – Hinweise zu effektiverer Kommunikation gegeben werden, davon, wenn sie den Empfehlungen folgen? Kann ihre Berufsausübung so mehr Freude bereiten? Zweifellos wird doch eine Zusatzanstrengung empfohlen: Wärmt solche Mehrarbeit zum Ausgleich das Herz, das eigene und das der Gemeinde?
Die Antworten liegen nicht bei mir. Ein Akzeptanzproblem kann ich ansprechen, aber nicht beseitigen. Die Barrieren „Rat von Leuten aus der professionellen Kommunikation nicht abweisen“ und „Effektivität als Maßstab akzeptieren “ müssten geräumt sein, wenn die im Text ausgesprochenen Empfehlungen es bei der Leserin, beim Leser in die Abwägung schaffen sollen.
Zur Erklärung der Entstehung: Der Text ist nach Interviews mit führenden Experten der Werbe- und Kommunikationswirtschaft über ihr Bild von Kirche und ihre Empfehlungen zur Kommunikation von Kirche entstanden.

Mit besten Grüßen
Henning v. Vieregge
Quelle: Hessisches Pfarrblatt Nr. 3/ 2016
(dort nachlesbar und ausdruckbar mit Fußnoten)



Und dies ist die Kernbotschaft:

Man muss die einfachen Dinge verstärken. Der Wirkungstreffer kommt nun mal aus der Hüfte, nicht aus dem Kopf. Da kann man doch sagen: Jesus würde es so sagen. Man kann es doch sehr einfach stricken.“
Das Zitat zeigt, um was es hier geht: Gute Kommunikation ist immer empfängerbezogen und emotional, aber gleichzeitig auch immer, was den Absender angeht, eindeutig und nicht beliebig, in unserem Fall auf den Glauben bezogen.

Empfehlung 1 Unbedingt rauswollen
Die Kirche sollte umschalten von der Binnenorientierung auf eine Außenorientierung.“
Sebastian Turners Empfehlung steht nicht verloren auf kahler Fläche. Im neu eingerichteten EKD-Themendossier „Ehrenamt“ heißt es: „Kirche zielt auf Öffentlichkeit. Ihre wesentliche Aufgabe ist es, das Evangelium öffentlich zu machen. Das kann sie nur, insofern sie eine sichtbare soziale Gestalt hat .“ Eine Mitarbeiterin der Bochumer Hochschullehrerin Isolde Karle, die Theologin Stefanie Brauer-Noss, berichtet nach Gesprächen mit leitenden Persönlichkeiten dreier Landeskirchen, dass zwar Auslöser der Reformprozesse „in der Regel prekäre Finanzsituationen waren und auch weiterhin sind“ , aber nachdem sich das Sparen als äußerst schwierig erwiesen habe und zudem sich , mindestens übergangsweise, die Finanzsituation im Gefolge der guten konjunkturellen Lage Deutschlands viel besser entwickelt hat als prognostiziert, das Hauptziel der Veränderungsprozesse nun laute, dass „die Stellung der Kirche in der Gesellschaft behauptet bzw. weiter ausgebaut“ wird und Kirche „als mitgestaltender Akteur in der Zivilgesellschaft wahrgenommen“ wird „Die Angst vor der Bedeutungslosigkeit ist der stärkste Motor.“

Empfehlung 2: Zuhören wie Momo

Die Kirche sollte sich sagen: wir gehen raus zu den Leuten, wir wollen bei ihnen sein, wir wollen sie verstehen, wir wollen die Nähe.“
Steinbach am Taunus, (die katholische) Bonifatiusgemeinde, Samstagmorgen im Februar 2016: Knapp 20 Personen, kein Pfarrer, zwei Gemeindereferenten, der Rest Kirchenaktive sind der Einladung gefolgt. Thema ist die Vision der Gemeinden Oberursel und Steinbach. Dieser Kreis hat sich zur Mitwirkung bereit erklärt. Einer liest nach dem Eingangslied aus Michael Endes „ Momo“ vor. Es geht ums gute Zuhören. Das Zitat lautet (verkürzt).
Was die kleine Momo konnte wie kein anderer, das war: Zuhören. Das ist doch nichts Besonderes, wird nun vielleicht mancher Leser sagen, zuhören kann doch jeder. Aber das ist ein Irrtum. Wirklich zuhören können nur ganz wenige Menschen. Und so, wie Momo sich auf Zuhören verstand, war es ganz und gar einmalig. Momo konnte so zuhören, dass dummen Leuten plötzlich sehr gescheite Gedanken kamen. ..Sie konnte so zuhören, dass ratlose und unentschlossene Leute auf einmal genau wussten, was sie wollten. Oder dass Schüchterne sich plötzlich frei und mutig fühlten. Oder dass Unglückliche und Bedrückte zuversichtlich und froh wurden….So konnte Momo zuhören!“
Die Teilnehmer bereiten sich auf Interviews vor. Die Ergebnisse der Interviews sollen einfließen in einen Visionstag. Auf diesem Weg möchte die Gemeinde sich ihrer Vision annähern. Die Gespräche sollen mit jeder und jedem geführt werden, zu denen die Interviewer Zugang haben. Die Initiatoren unterstreichen: Jeder soll nur so viele Interviews durchführen, wie Zeit und Lust es zulassen. Empfohlen wären Antworten im Verhältnis von 2:1 Nichtmitgliedern der Kirchengemeinde, auch Nichtbewohnern des Ortes zu Kirchenmitgliedern. Das Besondere an den Interviews sind Interviewkarten, aus denen der zu Befragende sich die Fragen aussuchen kann, die er beantworten möchte. Dazu eine Jokerkarte für eine nicht gestellte Frage. Die Antworten werden protokolliert und das Protokoll geht dem Befragten zur Korrektur zu. Und alle zum Visionstag einladen! Ich erfahre, dass für diese Gemeinden und die Nachbargemeinden ein Pfarrer zur Verfügung steht und Pastoralreferenten mit unterschiedlichen Zeitanteilen. Der Blick der Initiatoren und all derer, die sie im Prozess gewinnen, richtet sich auf das Quartier, und gleichzeitig darüber hinaus.
Muss man, um sein Anliegen in die Welt zu tragen, erst einmal die Klappe halten und lernen, zuzuhören? Von Aerosmith stammt der Satz: „The reason a dog has so many friends is that he wags his tail instead of his tongue.“
Nochmals zu St. Bonifatius:
Frage: Warum arbeitet ihr an einer Vision?
Antwort: Kirche muss sich mit dem Glauben der Menschen auseinander setzen. Sie muss Gott bei den Menschen finden.
Frage: Warum befragt Ihr bei Eurer Visionssuche Außenstehende und Kirchenmitglieder im Verhältnis zwei Drittel zu ein Drittel?
Antwort: Es muss ein Augenmerk auf die Außenstehenden gelegt werden, um sich selbst neu zu bestimmen.

Empfehlung 3: Mehr kontakten…

Bekanntheit ist immer die notwendige Bedingung für alles. Wenn Kirche ein relevanter Akteur dieser Gesellschaft sein will, muss sie Kommunikation bieten, die anschlussfähig ist, und in der sie als Kirche zu erkennen ist.“
Mit seinem Hinweis, dass gesellschaftliche Anschlussfähigkeit und Erkennbarkeit des Absenders Kirche gegeben sein müssen, liegt der Tübinger Medienwissenschaftler Guido Zurstiege auf einer Wellenlänge mit der Feststellung des Direktors des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD, Gerhard Wegner: „Vor lauter Angst, gesellschaftlich nicht mehr anschlussfähig zu sein, hat es hier aus meiner Sicht eine Kultur der Harmlosigkeit gegeben, die tatsächlich zur Marginalisierung geführt hat.“ Man muss bei der Kommunikation zu den Mitgliedern anfangen, aber nicht aufhören, sondern soweit ausgreifen wie möglich. Denn wenn Kirche ihren Platz in der Gesellschaft trotz der Mitgliederverluste, der zurückliegenden und möglicherweise kommenden, behalten will, muss sie es schaffen, auch für Nichtmitglieder interessant zu bleiben. Andererseits werden die Mitgliedervorteile gegenüber Nichtmitgliedern in den Leistungen der Kirche im Urteil der meisten Gesprächspartner nicht wirklich herausgearbeitet. Der CEO der Scholz & Friends Gruppe, F.M Schmidt, stellvertretend:
Wo ist denn eigentlich der Unterschied für die Mitglieder? Meine Behauptung ist: Alle bekommen ungefähr dasselbe, bloß die einen zahlen dafür und die anderen nicht. Das einzige Gesicherte für ein Kirchenmitglied ist, dass bei der Beerdigung ein Pfarrer spricht.
Jede kirchliche Kommunikation muss zwei Bedingungen genügen. Sie muss anschlussfähig, das bedeutet, auf den Adressaten bezogen nach Thema und Inhalt sein, und gleichzeitig absenderklar: Hier kommuniziert Kirche.
Öffentlich unterscheidbar genuin in Sprache und Haltung sein.
Moderne Glaubensbilder schaffen.

Also, meinen Experten wie Zurstiege, bitte kein Politik- oder Bürokratensprech und überhaupt nicht nur „Sprech“, sondern in Symbolik und Bildern denken: Hier loben die Experten den Papst, der von der Fußwaschung von Flüchtlingen in Lampedusa bis hin zur Vorfahrt vors Washingtoner Weiße Haus im italienischen Kleinwagen starke Bilder geschaffen habe.
Kirchengemeinden sind gut beraten, ganz bewusst über ihre Grenzen hinaus zu kommunizieren: über die Mitgliedsgrenzen und über die Parochialgrenzen. Denn Kirchennutzer halten sich nicht unbedingt an dererlei Ausgrenzungen. Darauf verweisen Eberhard Hausschildt und Uta Pohl-Patalong und sprechen deswegen von der „hybriden Kirchengemeinde“ .

Empfehlung 4: Online-Kommunikation auch als Kirchengemeinde verstärken.

Nähe kann digital hergestellt werden. Die größte Nachbarschaft findet mittlerweile im Netz statt.“
Das Thema verdient ein eigenes Kapitel! Ich muss es aus Platzgründen bei dem dringenden Hinweis belassen, mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Dies war der einhellige Rat der Experten. In einer 2015 geschriebenen, im Netz zugänglichen Masterarbeit sieht Autor Ingmar Neufeldt sowohl Vereine und Verbände in Deutschland als auch die Kirchen in den USA, bezogen auf digitale Präsenz, bedeutend weiter . Seine Empfehlung: “The church must go where the people are. Die Öffentlichkeit versammelt sich nicht mehr auf dem kirchennahen Marktplatz. Der zentrale Treffpunkt ist heute das Internet. Aber auch da kann sie sich Gehör verschaffen.“

Empfehlung 5: Über die Bande kommunizieren
Um gehört zu werden, wäre Kommunikation über die Bande vorteilhaft für die Kirche. Es geht um Menschen des öffentlichen Lebens oder aus dem Medienbereich, die glaubwürdig zu mir als Kirche passen und meine Botschaften in die Öffentlichkeit transportieren.“ .
Ebenso wie der Auf- und Ausbau der digitalen Kommunikation liegt auch in dieser Empfehlung eine Riesenchance, nutzbar für jede Kirchengemeinde. Beachtet werden müssen die Vulnerabilität von VIPs einerseits und die notwendige wechselseitige „Passung“ andererseits. Dies betrifft auch die Moderationsfähigkeiten des kirchgemeindlichen Personals. Mancher Pastor hält sich irrtümlich für einen guten Interviewer, bloß weil er stotterfrei predigen kann. Die Fähigkeit zu journalistischer Präsenz ist nicht angeboren, sondern trainiert. Glaubensthemen sind gewiss delikate Themen, gleichzeitig –wenn es gut läuft- aber auch ergreifende.

Empfehlung 6: Sich deutlicher positionieren
Sollten sich die christlichen Kirchen das Unterscheidbare herausarbeiten? Die einhellige Antwort der Experten lautet: „Ja“.
Aber was ist das Unterscheidbare?
Ich würde den spirituellen Kern versuchen zu beleben, ohne alles andere“ .
Damit ist klar: Positionierung bedeutet nicht, dem Zeitgeist hinterher zu laufen, nicht, dem Zeitgeist zu verfallen.
Kirche sollte Justierung oder Gegenposition liefern“.
„Kirche soll an ihrem ureigenen Markenkern festhalten, weil ich dann als Christ, wenn ich in die Kirche gehe, weiß, was mich erwartet. Das gibt mir eine Kraft, in Verbindung zu treten, besser als zuhause. Kirche ist kein Ort, wo ich eine Show oder eine Unterhaltung suche, das wäre für mich eher fehlgeleitet. Wenn Kirche versucht, sich immer weiter an allen möglichen Geschmacksfarben zu orientieren, wenn Kirche alles abdecken wollte, nur um jetzt populär zu sein und dabei ihren eigenen Markenkern verlässt, das fände ich nicht gut!“
Profil ausbilden, das bedeutet: sich auf Stärken zu besinnen und diese herauszustellen.

Empfehlung 7: Bindung jenseits der Vernunftehe.
Wir müssen auf jeden Fall eine starke Beziehung aufbauen zu unseren Kunden, unabhängig von Werbebotschaften. Darum geht es. Das kann nur in einer 1:1-Kommunikation entstehen, die individuell maßgeschneidert sind auf den Einzelnen“ .
Die Vernunftehe, häufig von Dritten eingefädelt, hat in unseren Breiten ausgedient. Gott sei Dank. Das gilt auch für Glaubens- und Kirchenbindungen. Wie entstehen und erhalten sich aber Bindungen? Es ist bei Personen- nicht anders als bei Institutionen. Es zählen sachliche und den emotionale Gründe.
Fragt man Mitglieder und solche, die es werden könnten, über die Beweggründe zur Mitgliedschaft, empfiehlt es sich dringend, unter beiden Gesichtspunkten zu fragen und die Antworten, zum Beispiel bezogen auf Leistungen der Institution, auszuwerten. Antworten lassen sich dann in einer Matrix wie unten clustern.
+- Wichtig zur Charakterisierung
Nicht wichtig für mich
++ Wichtig zur Charakterisierung
/ wichtig für mich

-+ Nicht wichtig zur Charakterisierung
/ wichtig für mich
— Nicht wichtig zur Charakterisierung
Nicht wichtig für mich

Auch ohne breite Umfrage kann es hilfreich sein, insbesondere über Anbindungschancen auf dem Hintergrund verschiedener Gemeindeprojekte nachzudenken. Anbindung variiert von Interesse über Sympathie über Teilnahme bis Mitarbeit. Selbst stellvertretendes Aktivwerden von Kirche kann attrahieren (wenn denn die Kommunikation dazu nach Quantität und Qualität stimmt
Herzlichkeit, Nächstenliebe, das sind Themen, die muss man attraktiv aufladen, damit man sagt, ich mache bei dem Verein Kirche wieder mit. Oder dass man sagt: das ist mein Club. Ich komme nicht dazu, mein gutes Gewissen genügend zu pflegen, deswegen trete ich einer Gemeinschaft bei, die das tut“.
Der Wert insbesondere kultureller Projekte, die unter dem Dach einer Kirchengemeinde oder mit ihrer Hilfe stattfinden, ist unter diesem Gesichtspunkt hoch zu veranschlagen.
Zivilgesellschaftliche Verankerung kann helfen, die emotionale Seite zu stärken, weil Kirche in neuartigen Beziehungen in ihr lokales Umfeld tritt:
1. In Allianz mit Partnerorganisationen
2. Mit neugewonnenen Engagierten
3. In bewusstem Umgang mit den Klientengruppen, also unter strikter Stärken-, nicht Defizitorientierung
4. Durch nachgewiesene Effizienzbelege, die die Aufmerksamkeit von Medien und Politik sichern.
Kirchengemeinde als Akteur der Zivilgesellschaft: durch Engagement zugunsten der Bürgergesellschaft und des Quartiers. Quartier, Sozialraum, Nachbarschaft: die Begriffe variieren, die Sache nicht.
Raus bei so viel Unerledigtem im Hause selber? Was in der Abwägung so schwierig klingt, ist in der Praxis schaffbar, wie Beispiele aus vielen Kirchengemeinden zeigen.
Bei alledem ist 5. der besondere christliche Anspruch, der über die üblich-säkularen Leistungsmaßstäbe hinausreicht, deutlich zu machen und einzulösen. Dass dies bei Ressourcenknappheit durch Vernetzung innerhalb der kirchlichen Organisationen erreichbar ist, sei nur der Vollständigkeit wegen angemerkt.
Welche Aktivitäten von Kirchengemeinden allein oder im Verbund mit zivilgesellschaftlichen Partnern emotionale Bindungskraft am stärksten entfalten, lässt sich ohne Analyse der Potentiale der Kirchengemeinde und der Chancen und Notwendigkeiten im Einzugsbereich nicht bestimmen, aber besonders aussichtsreich sind Projekte jenseits des diakonischen für ganz normale Erwachsene. Die Unterscheidung von „charakteristisch für die Institution“ und „mir wichtig“ macht übrigens auch verständlich, warum die persönliche Beziehung zu einem Pastor vor Ort Mitglieder am Austritt hindert . Sie lenkt den Blick auf die Kasualien: Hier, bisher Domäne des Hauptamtes, Projekte im Zusammenwirken von Haupt- und Ehrenamtlichen anzuschieben, ist unter der Bindungsfrage eine der wichtigsten Aufgaben jeder Kirchengemeinde. Und dann, natürlich, die Chance der Kasualien nutzen, der alten und der neuen. Zu den neuen Kasualien zählen Pohl-Patalong und Hauschildt „Rituale zur Trennung von Paaren, Segnung hmosexueller Paare, aber auch Gottesdienste zum Übergang in den (flexiblen) Ruhestand signalisieren ein Umdenken, ebenso kirchliche Angebote, die anderen Lebenswegen folgen wie beispielsweise Single-Arbeit, Vater-Kind-Freizeiten oder Projekte für die „jungen Alten““.

Empfehlung 8 : Beheimatete reisen gern.

Der Niedergang kann immer nur von innen aufgehalten werden. Glaubensgemeinschaft ist eigentlich Kommunikation pur.“
Der Begriff „Klüngel“ löst reflexartig „Köln“ aus. Wann immer in Köln etwas schief geht, ist vom „Kölner Klüngel“ die Rede. In Mainz spricht man in ähnlich kritischer Absicht von der „Handkäs-Maffia“. Aber ist Klüngel nur etwas nur Negatives? Ein Zitat des bekanntesten ehemaligen Kölner Bürgermeisters, Konrad Adenauer, verdeutlicht den Wert von Klüngelei: „M`r kennt sich, m`r hilf sich
Für kirchliche Institutionen heißt das: Es herrscht gelebte Wertschätzung: die Unterschiede an sozialer Schichtung (Bildung, Einkommen), der, Generationen und der Aktivitätsintensität in der Gemeinde werden überwölbt. Das dreifache Liebesgebot des Evangeliums wird hier, so gut es geht, praktiziert.
Ein Kreativer bringt es so auf den Punkt:
free hugh“ müsste eigentlich von der Kirche sein.
Man sollte die Dauer des Prozesses hin zu einer gelebtem Vertrauen nicht unterschätzen. Bürgerplattformen nach dem Community Organizing Prinzip nehmen sich zwei Jahre Zeit, bevor sie zum ersten Mal an die Öffentlichkeit treten. Vertrauen verkürzt Wege, lässt Fehler besser ertragen und erhöht die Leistungsbereitschaft. Wer Vertrauen spürt, möchte nicht enttäuschen.
Am Klüngel wird mit Recht seine Abgeschlossenheit kritisiert. Wer nicht zur In-Group gehört, ist von der Meinungsbildung auf dem kleinen Dienstweg ausgeschlossen. Der Klüngel erstarrt zur Selbstbedienung. Im gemeindlichen Kontext blüht so das Pharisäertum. Wer hinzutreten will, stößt an Mauern. Die selbstgenügsame Wohlfühlkultur nimmt Schrumpfung gern in Kauf. Lieber unter uns bleiben als den Falschen aufnehmen. Aus der Volkskirche wird so am Ende eine Sekte. Klüngel ist besser als Fremdeln, aber Klüngel ist nicht die Lösung. Die Bemühung um enges Miteinander braucht das Gegengewicht: die öffnende Veränderungsabsicht. Wo Vertrauen ist, ist Raum für Veränderung.
Nur kirchliche Institutionen mit Willkommenskultur, die sich auf eine durchdachte und verlässliche Struktur stützt, werden der Gefahr der sektiererischen Klüngelei entgehen. Interne Wertschätzungs- und externe Willkommenskultur, Innen- und Außenkommunikation werden oft als Gegensatz geschildert. Das sind sie nicht zwangsläufig. Sie können sich wechselseitig bestärken. Beheimatete reisen gern.
Allerdings nur unter der Voraussetzung, dass Empfehlung 1 („Unbedingt rauswollen“) leitende Handlungsmaxime ist. Wenn das so ist, werden Engagierte benötigt, deren Engagement sich nicht im internen Gemeindedienst erschöpft, sondern die vor die Kirchentür drängen.
„Veränderungskommunikation sollte man nur machen, wenn man es wirklich ernst meint. Dann müsste eine interne Mobilitäts- und Motivationskampagne stattfinden. Diejenigen, die noch in der Kirche sind und sich auch beteiligen, muss man ins Boot holen, sie stark machen, sie bestätigen, dass sie für die richtige Sache kämpfen“
Kunden, von denen ich weiß, dass es sehr verwurzelte Kunden sind, werden als Markenbotschafter eingesetzt“ .
Ist der Begriff Markenbotschafter tatsächlich nicht auf Kirchengemeinden übertragbar? Mir scheint, Wegner liefert eine Umschreibung der Begriffe Markenbotschafter oder Fan, wenn er von einer Gruppe von Menschen schreibt, „die bewusst dazu stehen, mit der Kirche etwas zu wollen und andere Menschen auch dahin bringen zu wollen, dass sie mit der Kirche etwas wollen.“ Wegner zufolge gehören zu diesem definierten engeren Kern „wahrscheinlich nie mehr als 80-100 Personen.“ Weiter reiche die Inklusionskraft nicht. Wirklich nicht? Hier muss die Diskussion um das Selbstverständnis der Pfarrer und Pfarrerinnen fortgeführt werden. Verstehen sie sich als Coach? Wie viele kann jede(r) binden und begeistern? Wie viel Raum ist für weitere, ob bezahlt oder unbezahlt, die dabei sind, wenn sich „ein Geist bildet, der begeistert“ (Wegner) und die ebenfalls binden können?
Wie ausgreifend ist die Suchbewegung? Der Hamburger PR-Spezialist Dieter Schulze van Loon macht auf die Notwendigkeit aufmerksam, sich bei der Suche auf die Bedingungen des „neuen“ Ehrenamts einzustellen:
Leute, die sich engagieren wollen, tun das mehr und mehr punktuell, themenbezogen. Kirchen sollten so etwas verstärkt anbieten, nicht fragen: bist du Christ oder bist du kein Christ, sondern sagen, hier ist eine Aufgabe, hast du Lust, da mitzumachen, von deinen Kompetenzen her würde das passen. Man muss den Menschen klar machen, dass, wenn man mal bei einem Projekt mitmacht, nicht bedeutet, dass man gleich dauerhaft festgezurrt wird. Diese Furcht muss man den Menschen nehmen.“

Empfehlung 9: Momentum schaffen/nutzen

„Es muss irgendwann mal wieder ein Momentum entstehen. Man hat seit langem das Gefühl, die ganze Geschichte wird verwaltet, herunter verwaltet, sie schrumpft und schrumpft. Man muss Aktivismus machen, man braucht die grüne Wiese, man muss mit dem Alten brechen, einen Neuanfang machen. Man braucht eher die Figur des Aktivisten denn die Figur des Funktionärs“

Ich verstehe das Zitat des Düsseldorfer Hochschullehrers Rainer Zimmermann nicht als Gegensatz von Haupt- und Ehrenamt. Funktionäre und Aktivisten befinden sich auf beiden Seiten. Es geht auch nicht um einen Aufruf zum Aktivismus um des Aktivismus willen. Der Start zu Neuem oder zur Intensivierung von Bewährtem erfolgt nicht bei allen Angesprochenen gleichzeitig und nicht zu ein- und demselben Projekt, (der Fehler von Projektstimulierung von oben). sondern jeweils unterschiedlich: Wenn das Momentum da ist. Der Aufbruch in Sachen religiöser Kommunikation ist zielorientiert: Mit mehr Menschen mehr tun. Der Hebel ist die Kommunikation, die im Kampf um Aufmerksamkeit Regelbrüche nicht scheut, wenn diese zur Neudeutung des Bewährten und damit zu neuer Begeisterung für das Produkt führen. Was in der Wirtschaft manchmal etwas angestrengt wirkt – wer will schon Fan einer Produktmarke sein – könnte im missionarischen Kontext faszinieren, zumal wir auf Gottes Unterstützung hoffen können: „Du stellst meine Füße auf weiten Raum.
Um diesen weiten Raum ging es hier. Es ist der Raum der Bürger- und Zivilgesellschaft, in der Kirche umso willkommener ist, je mehr sie sich auf sich selbst besinnt und gleichzeitig aus sich herausgeht. Übrigens: Auch meine Gesprächspartner, viele nicht mehr Kirchenmitglieder, bewiesen mit ihrem Interesse am Thema, dass sie erreichbar sind: bei je spezifischer Umsetzung ihrer eigenen Empfehlungen.

Guten Tag,

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