„Neustart mit 60“- Retos Assoziationsgewitter – „Der Mensch funktioniert mit zunehmendem Alter wie alte Kommoden“

20 Okt
20. Oktober 2019

Blog 216, Oktober 2019

Guten Tag,
Reto Fritz, Berufsmusiker aus der Schweiz, hat sich von meinem Longseller „Neustart mit 60 – Anstiftung zum dynamischen Ruhestand“, Wiesbaden 3. Auflag 2018, beziehbar über Amazon oder www.neueufer.de, inspirieren lassen. Wer seinen Text liest, wird sich beschenkt fühlen. Reto und ich, das will ich zur Erklärung einiger Passagen anfügen, werden jeweils in unserer Region (ich im Distrikt 1820, dies entspricht Hessen minus Starkenburg) in 2020/21 als sogenannte Governor für die Rotary-Community fungieren.
Mit herzlichen Grüßen
Henning v. Vieregge

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Seminar für angehende Führungsleute von Rotary: Reto Fritz steht in der zweiten Reihe (mit dem blauen Pullover über der Schulter), ich bin ganz hinten rechts, auch jackenfrei

Reto E. Fritz
CH-8620 Wetzikon
reto.fritz@gmx.ch

Wetzikon, 7. Oktober 2020
Zu Henning von Vieregge: Neustart mit 60

Lieber Henning

Ich habe Dein Buch zur dritten und vierten Lebensphase zweimal gelesen. Erst als Lektüre mit einem inspirierenden und auch zum spontanen Nachdenken anhaltenden Genuss, dann aber auch ein zweites Mal, jedoch systematisch, kritisch-reflektierend, mit persönlichen Anmerkungen, Assoziationen. Dazu gehört für mich bei der Lektüre von Musikerbiografien über Goethes Faust bis hin zu analytischen theologischen Fragen stets auch das Erstellen eines Verzeichnisses zu Stichwörtern wie «Erfahrung, Zitat, Kommentar, Humor, Ausdruck, ! (Stellen, die ein ! setzen), Beispiele, ?, Credo, Kernfragen und Druckfehler».

Es gibt Menschen – wie meine Mutter mit 88 Jahren – die sind vom Jahrgang her hochaltrig, haben aber immer noch das Potential der 3. Phase. Meine Frau Mama verwaltet Liegen-schaften in drei Schweizer Kantonen, fährt einen VW Golf R und ist geistig so beweglich und aktiv wie eh und je. Sie lebt uns vier Söhnen ein Beispiel vor, welches zeigt, dass der Unruhestand kreativ und belebend sein kann und das «selbstbestimmte Leben» nicht nur ein Schlagwort ist.

Die «Verletzung in den Ruhestand» wäre erträglicher, wenn jeder sich sagen würde: «Heute beginnt der Rest meines Lebens. Was mach ich damit?» Viele Menschen üben jenen Verzicht, der mit Bescheidenheit weniger zu tun hat als mit Bequemlichkeit, mangelnder Initiative oder gar Passivität. Ein bekannter Dirigent äusserte zu mir, als ich 21 Jahre alt war: «Der Verzicht ist der Lustgewinn der zu kurz Gekommenen!» Dies war nicht nur arrogant gemeint.

Mit dem «Generationen-Tandem» schenkst Du uns einen Ausdruck, der inzwischen einen festen Platz in meinem Vokabular hält. Ein deutscher Pfarrer hier in Wetzikon, Dr. Martin Wild, hochbegabter Lutheraner, eröffnete seinen Unterricht vor seinen Konfirmanden so: »Ich bin nicht besser als ihr. Aber ich habe einen Vorsprung. Und ihr könnt davon profitieren. Wenn ihr es wollt!» Er hatte

damit alle «im Sack». Er, der äusserlich konservativ wirkende, war in seinem Statement so klar, ehrlich, nicht anbiedernd, und er machte die jungen Menschen offenporig für alles, was sie gemeinsam vor sich hatten. «Wir müssen den Mut haben, unsere eigenen Ideen gross genug zu denken!» (Vgl. die Einführung in Deinem Buch Seite 7 1. Zeile)

Seite 11 Erinnerungen an Kindheit, Jugend
Menschen mit einem besseren Gedächtnis sind innerlich reicher, weisen mehr Erlebtes auf, das sie gedanklich vernetzen können und entwickeln aufgrund des Verständnisses über sich selbst ganz andere Empathien für die Andern. Menschen, die offen sind und sich äussern, bereichern uns. Von jemandem, der verschlossen ist, können wir kaum was lernen. An meiner Klassenzusammenkunft (wir wurden 60!) staunte ich, wie wenig die allermeisten Schulkameraden aus jener Zeit noch wussten. Mir haben sich äussere Merkmale ebenso eingeprägt wie Begebenheiten, spezielle Vorkommnisse (lustige und traurige) und ich konnte aus meinem reichen Erinnerungsschatz jedem Einzelnen was Anekdotisches erzählen.
Der Mensch funktioniert mit zunehmendem Alter so unterschiedlich wie alte Kommoden. Manche bringen wegen ausgetrocknetem Holz (Geist?) die Erinnerungsschubladen nicht mehr auf, anderen gelingt dies wie einst und immer. Als mein Vater mit 92 Jahren einen dreifachen Herzstillstand innerhalb 24 Stunden überlebte, schrieb ich ihm bis zu seinem Tod jeden Tag einen Brief, 317 an der Zahl. Jeder hatte nur 1 Thema. Oft Erinnerungen an unsere Kindheit oder Jugend. Er meinte mal, vieles hätte er nicht mehr gewusst. Aber ich hätte ihm die Schublade seiner knorrigen Kommode geöffnet und er erkannte, dass sein Wissen noch da war, allein der selbstbestimmte Zugang war im verwehrt. Erstaunlich, nicht?

Seite 13 Der 100. Geburtstag!
Er spielte für mich eine Rolle, als ich 50 wurde. Ein menschliches Leben kann tatsächlich 100 Jahre dauern. Mein 50. Wiegenfest Stellte ich deshalb unter das Motto «Halbzeit». Und liess mir von einer begabten jungen Künstlerin eine Bronze-Skulptur auf einem gebrochenen Glass-Sockel anfertigen. Die Skulptur stellt einen Diskus dar, der im Innern meine verschlungenen, gelebten ersten 50 Jahre symbolisiert, der äussere Teil ist noch glatt und «unverbraucht». Die beiden Teile machen je 50% der Gesamtfläche aus, meine Auseinandersetzung mit der Zeit, auch mit MEINER Zeit, wurde dadurch angeregt.

Zeigt dies vielleicht einen gewissen Hang zu Grandiosität? Der Begriff spielt – genannt oder nicht spezifisch formuliert – in vielen Biografien eine enorme Rolle. Und ist positiv gemeint! Diesen Sommer las ich in Südengland einen Text, der aufzeigte, wie Grandiosität sich als Strategische Richtung bewähren kann. Als waffenerprobter (aber natürlich nicht kriegserfahrener) Artillerie-Offizier vergleiche ich dies gerne damit, wenn ich bei der exakten Vermessung nachts den Polarstern als Fixpunkt für Berechnungen im Feld verwende. Weit oben, weit entfernt, sehr exklusiv.

Seite 18 Unruhestand
Der Begriff «Unruhe» im Alter ist geradezu verniedlichend, wenn ich daran denke, welche Musikergrössen es gibt, die geradezu von einer beispiellosen Alters-WILDHEIT besessen sind. Diese lässt sich sogar messen. In Form von Zeit und Tempo. Vergleicht man z.B. bei grossen Pianisten Beethoven-Aufnahmen über eine Karriere von 60 Jahren, dann zeigt sich bei einigen erstaunliches. Frühe Schallplatten wirken jugendlich, draufgängerisch, wild und entschlossen, in den langen mittleren Jahren danach paart sich dieses Temperament mit Einsichten, innerer Ruhe, Gelassenheit und Abgeklärtheit, und dann, im hohen Alter, hören wir plötzlich die Koexistenz all dieser Lebenserfahrungen von Hochbegabten. Im Alter entwickeln viele Menschen den Sinn fürs Wesentliche. Weil es gar nicht mehr möglich ist, alles Kleine auch noch wie früher zu bewältigen. Und grosse Musikinterpreten zeigen in ihren Aufnahmen und Konzerten, wie sie grossformale Zusammenhänge souverän gestalten können, wie sie Übergänge von einem Teil in einen andern grandios darzustellen imstande sind, und: Sie verpassen keine musikalische Pointe! Wenn dann à la Arthur Rubinstein jene Alterswildheit noch dazu kommt, die ich oben erwähnt habe, dann kann ein Live-Konzert zur Sternstunde für Künstler und Publikum werden.

Seite 20
Würde dem homo sapiens in jedem Moment die richtige Fragestellung einfallen (von Antwort will ich noch gar nicht reden), wäre manch böse Überraschung im Leben vorhersehbar. Und vieles erträglicher. Im nächsten Sommer gebe ich meinen katholischen Kirchenchor hier in Wetzikon nach 25 Jahren ab. Seit 2 Jahren ist dies nicht nur kommuniziert, sondern wir, alle Beteiligten, gestalten diese verbleibende Zeit bewusst. Und mit Hochgenuss. Ich liess den Chor vor einem Jahr in meinem Konzert mit dem Verdi-Requiem mitsingen. Weil es so überragende Musik ist. Und weil Kirchenchöre zu sowas Grossem nie kommen. Aber auch, weil ein Chorsänger, der das Verdi-Requiem gesungen hat, diese Welt dereinst vokal anders beschenkt verlässt, als wenn er es nie selbst mitgestaltet hat. Deine Fragestellung zur Altersvorbereitung ist essentiell. Meine Erfahrung hat mich darüber hinaus zu einer späteren Kardinalfrage des Lebens geführt: «Wann ziehe ich zum letzten Mal freiwillig (selbstbestimmt) um?» Für meine Frau Doris und mich führte diese Frage zur Erkenntnis, dass wir in unserem 260 alten Haus, welches als historisches Denkmal unter Schutz steht, einen Lift brauchen, um die kommenden 20 oder mehr Jahre garantiert hier wohnen zu können. Damit wir MEHR Zeit haben, uns zu überlegen, wann wir das letzte Mal freiwillig «zügeln».

Seite 24 100 Jahre werden.
Du empfiehlst, sich auf 100 Lebensjahre einzurichten. Tu ich ja! Mich hat Dein Statement sehr gefreut. Wir denken da genau gleich.

Seite 25 «Abschiedsprozess beginnt mit der inneren Kündigung».
Richtig. Bei einer Scheidung ist dies genauso. Aber: In der Regel auf jener Seite bzw. bei der Person, welche die Trennung veranlasst. Die «innere Kündigung» ist ein wunderbarer Ausdruck. Dein Ansatz «Kein Ausstieg ohne würdige Verabschiedung» ist zu beherzigen.

Seite 30 Bedeutungsverlust.
Was bedeutet Bildung im Alter? Zur Bildung verkommen ist all unser professionell erworbenes Wissen, Können, die Beherrschung von Geräten, Anwendungen usw., welche wir nach unserer Pensionierung ruhen lassen. Wäre der Mensch mit Bildung allein befriedigt, in einem gewissen Sinne auch satt oder glücklich, die Probleme mit dem Nicht-mehr-gebraucht-werden könnten sich reduzieren. Aber ohne Anerkennung? Ohne Bestätigung? Ein betagter Rotarier meines Clubs, früher Rektor unseres Gymnasiums, meinte: «Nach der Pensionierung bist Du niemand mehr. All die Gremien, mit denen Du zu tun hattest, seien es schulinterne oder auch jene von aussen (Politik, Gesellschaft, Medien) arbeiten weiter ohne dich. Und nur du selbst merkst es.»

Seite 32 Geschichtsklitterung.
Wir haben heutzutage gelernt, «Brüche» nicht nur als Elemente des Scheiterns im Leben wahrzunehmen, sondern auch deren Weichenstellung in einem positiveren Gesamt-zusammenhang zu erkennen. Warum kann man Probleme einer Berufslaufbahn bei der Verabschiedung oft nicht erwähnen? Weil deren souveräne Bewältigung ausblieb, faule Kompromisse gemacht wurden oder die Brandherde statt gelöscht einfach woanders hin verschoben wurden. Im November halte ich die Laudatio für einen befreundeten Dirigenten, dem ein Kulturpreis verliehen wird. Seine biografischen «Brüche» waren der frühe Tod seiner ersten Frau – er blieb mit zwei Kindern zurück – seine zweite, neue Familie, die Aufgabe seiner Karriere als Solosänger mit Hinwendung zur Gesangspädagogik und zur Dirigentenlaufbahn, das Verlassen des Gymnasiums mit einem hervorragenden Vertrag zugunsten der Rudolf Steiner Schule, wo er unter schwierigeren materiellen Umständen ganz andere menschliche Aspekte in den Fokus rückte, und schliesslich die Aufgabe jeder musikalischen Tätigkeit wegen Parkinson. Ich arbeite daran, Brüche in dieser Laudatio von zwei Seiten zu beleuchten. Es gibt diese, die von aussen wie ein Naturereignis (Naturwunder oder -katastrophe) auf uns zukommen und jene, die wir selber herbeiführen. Unter-Brüche, Ab-Brüche, Ein-Brüche, Zusammen-Brüche, Um-Brüche, Aus-Brüche, Auf-Brüche, Durch-Brüche und vieles mehr.

Seite 43
«Wann hat mir eigentlich das letzte Mal eine Frau ein Kompliment gemacht?»
Ich stelle mir ab und zu die Frage: «Wann habe ich das letzte Mal einem MANN ein Kompliment gemacht? Und warum machen Männer anderen Männern meistens überhaupt gar keine Komplimente?»

Seite 44 Trauertexte (vgl. Seite 58, «Die Vision vom erfüllten Leben».
Seit meinem 17. Lebensjahr sammle ich Todesanzeigen. Warum? Ich studiere daran die Verwendung unserer Sprache und deren langfristige Entwicklung für Dinge, die manchmal schwierig auszudrücken sind, wie auch mal gelogen wird («… war herzensgut…» dabei wussten alle über die Gewaltbereitschaft in Erziehung, Beziehung…) und vieles mehr. «Ist von uns gegangen» war über lange Jahre die Formulierung für Suizid, heute heisst’s dann eher: «Er sah in seinem Leben keinen Sinn mehr» oder in der Ich-Form «Ich bin dankbar, dass ich diesen letzten Weg selbstbestimmt gehen konnte und grüsse Euch…». Den Vogel abgeschossen hatten aber zwei Anzeigen, die mich betroffen machten, da sie für mein Gefühl die Ehre der verstorbenen Person tangierten. «Er litt unter den Beschwerden des Alters. Besonders seine Inkontinenz machte ihm zu schaffen». Und: «Der Alkohol war stärker als ihr Wille, zu…».

Seite 55/56 Beruflich gesichert, materiell gut versorgt.
Viele Akademiker in Verwaltungsämtern abgesichert, in Ruhe gelassen und mit Lohn und danach Rente grosszügig versorgt. Ich wollte bewusst nicht an ein Gymnasium gehen. Dieses wohlgeordnete Leben hätte mich künstlerisch nicht befriedigt. Ich setzte auf die Karte «freischaffend».

Seite 58, «Die Vision vom erfüllten Leben» (siehe auch Seite 44).
Mir fällt auf, dass nach Scheidungen praktisch nur von gescheiterten Ehen gesprochen wird. Es gibt auch «erfüllte» Ehen, wo das Gefäss einfach voll ist. Mein eigenes Modell sieht so aus: Ich habe in meinem geistigen Keller eine Hurde (Gestell für Obst, Eingemachtes etc.) stehen, auf der ich in fiktiven Einmachgläsern Dinge, Themen, Gebiete oder Beziehungen ablege, die sich «erfüllt» haben. Ich klebe vor meinem geistigen Auge eine Etikette auf die gefüllten Gläser oder Flaschen drauf, auch das Jahr steht darauf, und stelle sie – für immer – weg. Was aber tun andere? Sie nehmen ein grösseres Glas, leeren den Inhalt in dieses hinein und wursteln sich in diesem Thema, Gebiet oder mit diesen Menschen irgendwie weiter durchs Leben durch. Dieser Inhalt wird dadurch nicht besser, summa summarum das Erlebnis jedoch trüber und emotionell wie auch zeitlich bleibt man mit etwas eigentlich «erfülltem» (abgefülltem) unerfüllt zurück. Statt frei zu werden für neues.

Seite 59 «Ich bin eigentlich ganz anders...».
Dies sagt auch jede Frau, die zum ersten Mal als Verheiratete fremd geht. «Ich mach das SONST nicht…»! Was fällt dem Manne dazu ein? Leider nicht viel. Dabei liegt der Kommentar doch auf der Hand, dass er kontert: «Tut mir leid, aber ich kenn Dich doch nur so!» Wir können uns definieren wie wir wollen. Auch für uns zählt die Art und Weise, wie wir von anderen wahrgenommen werden. Wenn Ehrlichkeit am längsten währt, sollten wir auch den Mut haben, unsere eigene Wahrnehmung zu Menschen wie auch Dingen authentisch zu äussern…

Seite 63 «Der Verlust der Autonomie erfolgt nicht allmählich, sondern in Schüben.
Über diese wichtige Erkenntnis sollten alle Menschen ab Mitte 50 nachdenken. Demenz hat teilweise Stationen im Krankheitsverlauf, die immer gleich sind und dem Betroffenen wie den Angehörigen ermöglichen, sich auf die nächste Phase vorzubereiten. Michael Schmieder aus Wetzikon gilt als Pionier in der Pflege von Alzheimer Patienten. Sein Buch «Dement, aber nicht bescheuert» zeigt auf, was er aus seiner Tätigkeit in der «Sonnweid» Wetzikon über Jahrzehnte gelernt hat.

Es wäre eine spannende Fragestellung für uns alle: Wo passieren Veränderungen, die an uns nicht selbstgesteuert herantreten, schubweise und wo im Gegensatz dazu linear. Die Antworten könnten unsere Aufmerksamkeit früh auf wesentliche Dinge hinlenken, wenn wir uns mit unserer Zukunft befassen. Da gehören natürlich nicht bloss Krankheiten oder deren Symptome dazu. Auch die Freude oder Sucht nach neuen Technologien und anderem gehören dazu wie das späte Glück, wenn wir uns plötzlich neu, frisch und leidenschaftlich verlieben.

Seite 79 Empfehlungen, wie man sein sollte.
Bescheiden zu sein ist einfacher, wenn man bereits irgendwo angekommen ist. Ohne eine gewisse Grandiosität kommt kaum überdurchschnittliches zustande. Eben, den Mut haben, die eigenen Ideen gross genug zu denken. Und auch wenn die junge, selbstbewusste Generation etwas gegen ältere, reifere Männer hat, welche ihren Platz nicht räumen wollen und als Silver Generation vielerorts Verjüngung verhindern, definiert diese kecke Altersgruppe doch wie folgt: «Bescheiden ist jemand, dessen Vater es zu nichts gebracht hat.» Die Zeit der Frauen wird kommen. Frauenquoten sind für mich überall der falsche Weg. Quoten für Mehrheiten entbehren jeder Logik.

Seite 90 Zukunftsoptimismus.
Der Club of Rome machte in den 70ern Furore mit der Explosion der Weltbevölkerung. Und lag langfristig dann komplett daneben. Mit 21 las ich das «Manifest eines Optimisten» von Louis Powell, der sich trotz aller Besorgnis um die Zukunft weigerte, sich im Alltag die gute Laune samt Lebensfreude von jener Pessimisten-Generation verderben zu lassen. Damals sprach man doch tatsächlich davon, dass man den Mut aufbringen solle, glücklich zu sein. Als Künstler oder Intellektueller wurde man ernster genommen, wenn man die Apokalypse am Horizont kommen sah. Der Hass auf unsere Gesellschaft stand jedem optimistischen Leben im Wege. Nur: Schon damals war es so, dass der heitere Optimist, der auch real zu denken imstande ist, der kritisch bleibt und trotzdem auch mal forsch etwas gut findet, dem Mitmenschen mehr Energie gibt als die ständig Betroffenen, die sich beklagen und Zeit verschwenden, um ihre Gedanken gar auch noch in Kunst auszudrücken. Eine Ausstellung mit Werken von Käthe Kollwitz konnte ich im Zusammenhang mit ihrem Leben begreifen.

Seite 92 Bildung, Chancen und der Bürger als grösster Feind des Staates.
Mit der Bildung und den Chancen von zugewanderten ausländischen Arbeitskräften und Flüchtlingen sprichst Du ein Thema an, welches im offiziellen Diskurs viel zu kurz kommt. Die generelle europäische Ausländerfeindlichkeit wird der grossen Differenzierung, mit welcher wir diese Millionen von fremden Menschen begegnen sollten, niemals gerecht. Unsere Medien tragen teilweise grosse Mitverantwortung für diese Haltung. Schon vor dreissig Jahren sprachen wir in meiner Familie davon, dass Integration zwar wichtig sei, aber ohne eine Assimilation kaum je zu erreichen sein wird. In wie vielen Länder haben wir heute Parallelgesellschaften!? Die Erkenntnis, dass ohne brauchbare Sprachkenntnisse beides nicht möglich ist, führte bei Rotary Schweiz dazu, dass wir im internationalen Jugendaustausch die Zeit zum Erlernen unserer Landessprachen deutlich erhöht haben. In Griechenland ist der Bürger der grösste Feind des Staates, wie mein Bruder, der seit über 20 Jahren bei Athen lebt, äusserte.

Soviel zu einigen meiner Gedanken, Assoziationen und Impulsen, die Du ausgelöst hast mit Deinem Buch. Herzlichen Dank dafür, auch für die persönliche Widmung. Ich freue mich, Dich am Mittwoch in Catania zu sehen, Doris und ich fliegen heute Abend bereits nach Sizilien.

Mit rotarischen Grüssen aus dem Zürcher Oberland

Reto

P.S. Dieses Projekt liegt mir besonders am Herzen: Schweizer Berufsausbildung für laotische Jugendliche. Unter skilldream.com erfährst Du alle Details.

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