Kann Kirche Heimatstifter sein? Ein Interview, dem widersprochen wurde

03 Mrz
3. März 2019

Blog 199/ März 2019
Guten Tag,
kann Kirche Heimatstifter sein?

Doch lesen Sie selbst.
Mit besten Grüßen
Henning v. Vieregge

Kirche macht Heimat
Und die Kirche mittenmang
www.die-kirche.de / Nr. 8 / 24. Februar 2019

Herr von Vieregge, eine Zeitlang war „Heimat“ heftig im Gespräch. Angesichts der Flüchtlinge und Einwanderer, die zu uns kamen,
meldeten sich Historiker zum Thema, Kulturkritiker, Publizisten, Schriftsteller, Philosophen, auch Theologen. Sie sannen meist über
Heimat als unbestimmtes Gefühl nach, als verlorenen Sehnsuchtsort, sogar als politischen Kampfbegriff. Neu ist, was Sie in die
Debatte einbringen: „Kirche als Heimat“.

Klar ist schon beim ersten Nachdenken, dass der Begriff Heimat sehr viel Emotionalität enthält, ein Sehnsuchtspotenzial, das fur Wohlfühlmomente und Verlustangste gleichermasen steht. Führende Repräsentanten, der Bundespräsident und der Bundesinnenminister, erstmals
auch Heimatminister, unseres Staates haben es sich zu ihrem Anliegen gemacht, für ein Verständnis von Heimat zu plädieren, das
irgendwie zur Demokratie, zum Staatsverständnis passt. Ich gehe einen Schritt weiter und mache deutlich, dass Kirche ein bedeutender
Beheimatungsakteur ist und will dafür werben, diese Rolle noch stärker wahrzunehmen.

Beheimatungsakteur?

In dem Sinne, dass Kirche beheimatet.Sie kann über die Kirchengemeinden mehr zur Beheimatung in allen Facetten tun. Ein Ansatz besteht
in der Vergewisserung, ein besonders wertvoller Akteur mit und für andere zu sein. Das Spielfeld ist die lokale Zivilgesellschaft. Eine solche Ausrichtung stärkt Demokratie und Kirche in ihr.

Ein weltlich’ Ding, ein Bollwerk des Zivilen? Aber die Aufgabe der Kirche ist doch weniger eine Mandatsübernahme in der Zivilgesellschaft als Seelenheil, Nächstenliebe und Glaubensverkündigung?

Das ist verkürzt und halbherzig.

Neulich las ich von einem Neujahrsempfang für die kirchliche Gemeinschaft irgendwo in der bundesdeutschen
Provinz. „Kirche ist Heimat und Mitte zugleich“, sagte da der
Rathauschef. Stadt, Kirchengemeinde, Menschen, Pfarrerinnen und Pfarrer sowie hauptamtlich Mitarbeitende arbeiteten sinnstiftend
zusammen und gaben Halt, Heimat und Mitte. So oder so ähnlich ist auch mein Bild von Kirche als Beheimatungsakteur.

Auf welche Weise hat Kirche als tätige Institution mit Heimat zu tun?

Zunächst einmal durch Tradition, Verwurzelung, (gebrochene) Geschichte. Fulbert Steffenskys Begriff „Glaubensgasthaus meiner lebenden
und toten Geschwister“ verdeutlicht in schöner Weise eine Besonderheit von Kirche: Sie ist eine uralte Institution. Und sie kann Heimat sein. Glauben, Ritual und Institution sind dabei nicht immer deutlich zu trennen, auch wenn diese Trennung fur eine zielgruppengenaue Ansprache sinnvoll sein kann.

Skeptische Theologen erinnern daran, dass Jesus vor allem unterwegs war und dass die Bibel den Begriff Heimat nicht kennt. Findet der Christ nicht erst im Jenseits seine Heimat?

Unterwegs zu sein, Jesus nachzufolgen – das hindert mich doch nicht daran, einen diesseitigen Standpunkt, einen Standort zu haben und
in der Welt beheimatet zu sein. Die Gemeinschaft schafft Heimat, nicht selten auch Ausschluss und Abwehr, Exklusivitat. Ohne eigenes Zutun
entsteht Gemeinschaft nicht. Das eigene Zutun stößt aber nicht selten, gerade auch in jenen Kirchengemeinden, in denen schon viele Gemeinschaften unter dem Dach von Kirche vorhanden sind, auf Hindernisse. Gerade das freundschaftliche Miteinander derer, die schon da
sind, erweist sich als Sperrriegel, es sei denn, man definiert sich als einladend und verhält sich entsprechend
engagiert.

Wieso schafft Ihrer Meinung nach bürgerschaftliches Engagement in besonderer Weise Vertrauen? Trifft dies auch für Engagement in und für Kirche zu?

Engagement und Vertrauen stehen beziehungsreich zueinander. Wenn Kirche mit ihrem breiten Angebot an Möglichkeitsstrukturen
hilft, Engagement anzustoßen, dann wächst Vertrauen.

Welche Angebote können das sein?

Kirche ist als zivilgesellschaftlicher Akteur alleine schon wegen ihrer Präsenz in der Fläche in einer Alleinstellung. So kann Kirche im direkten und im ubertragenen Sinne inbesonderer Weise Erprobungsräume bieten. Quartier oder Kiez: In der Stadt entspricht dies in aller Regel dem Zuschnitt eines Parochialraumes, also einer Gemeinde oder einem Gemeindeverbund.

Demografie und Zeitgeist befördern nicht gerade diesen Anspruch. Die Mitgliederzahlen sinken in den Kirchen oder stagnieren bestenfalls.

Umso notwendiger ist eine Öffnung der Kirchengemeinden, ihre öffentliche Parteinahme, Präsenz und Sichtbarkeit. Es geht um die
Aktivität der Kirchengemeinde ins Quartier hinein im Zusammenwirken mit außerkirchlichen Akteuren. Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft
ziehen an einem Strang und Kirche ist mittenmang, das ist die Idee. Kirche ist dabei, wenn ein neuer Hilfemix im Quartier im Zusammenspiel aller Akteure, hauptamtlich und ehrenamtlich, entsteht. In einem Leitfaden der Initiative „Kirche findet Stadt“ heist es völlig richtig: „Kirche ist ein Schlüsselakteur im Quartier und sollte Kirchenreform- und Pastoralentwicklungsprozesse auch als Chance für einen neuen Aufbruch begreifen.“

Vielfach wird beklagt, dass sich – gerade in Dorf- und Quartiergemeinschaften – die Säulen der kirchlichen Beheimatung auseinander entwickelt haben. Seelsorge, Diakonie, Verkündigung und Bildung gehen oft allzu getrennte Wege, heißt es.

Die industrielle Arbeitsteilung wurde im Sozialen nachgebildet, und Glaube und Diakonie drifteten auseinander, verfestigen sich in getrennten Organisationseinheiten. Mittlerweile wächst die Kluft langsam zu, übrigens auch die innerhalb der Kirche zwischen dem „politischen“ und dem „frommen“ Flügel. Allerdings gibt es immer noch zwischen Debattenstand und Realität einen nicht unbeachtlichen Unterschied. In Hamburg ist vor einiger Zeit ein Studienleiter der dortigen Evangelischen Akademie damit beauftragt
worden, sich in den Gemeinden unter dem Gesichtspunkt „Öffnung zum Quartier“ umzutun. Sein Befund: Rund ein Drittel der Kirchengemeinden
hat diese Ausrichtung in ihrem Leitbild verankert, etwa ein Viertel setzt dies in der Praxis um. Dies zeigt: Es gibt meines Erachtens
einen grosen Entwicklungsbedarf für Quartiers-Sorgegemeinschaften unter Einschluss der Kirchengemeinden. Eine Kirchengemeinde, die
diesen Weg geht, verändert sich in mehrfacher Hinsicht.

Sie würde dann – als Teil einer engagierten Zivilgesellschaft – zum „Beheimatungsakteur“ in Ihrem Sinne?

... und zwar, ohne dass dieser Perspektivwechsel den weiten und demutsgeprägten Blick auf das menschliche Leben aufgibt. Wenn
Kirche sich konstruktiv in die Heimatdebatte einmischt, so nutzt dies der pluralen Demokratie und Glauben und Institution Kirche gleichermaßen. Beheimatung schafft Vertrauen. Die Momente vollen Vertrauens sind Momente der Angstlosigkeit. Die Voraussetzungen zum Erreichen dieser Momente müssen definiert, gewollt und durchgesetzt werden. Wer wäre im Zusammenwirken mit anderen dazu berufener als die Kirche mit ihrem Angebot an Glauben, Gestalt und Gemeinschaft?

Die Fragen stellte Uli Schulte Döinghaus.

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