Von Südafrika lernen
83/ Febr. 2015
Guten Tag,
aus Südafrika zurück, möchte ich gern fünf Bemerkungen machen. Zur politischen und ökonomischen Situation gibt es fundierte Beiträge andernorts, z.B. Neue Züricher Zeitung vom 28.2./1.3. S.1 David Signer „Eine Bankrotterklärung Afrikas: Der eigentliche Skandal hinter dem Flüchtlingsstrom von Lampedua ist nicht die ‚Abschottung Europas, sondern die Gleichgültigkeit der afrikanischen Regierungen gegenüber dem Exodus“
Hier geht es um Übertragungsempfehlungen einiger in Südafrika gemachter Beobachtungen:
Stoppschilder mit Flexi
In Südafrika gibt es mehr Stoppschilder als bei uns. Wenn wir an den Stoppschilden standen und warteten, bis die anderen Autos endlich gefahren waren, merkten wir eine gewisse Ungeduld hinter uns und seitwärts. Uns aber reichte der Linksverkehr zur Verunsicherung. Bis uns dann doch jemand aufklärte. Ob wir die Zahlen unter den Stoppschildern sähen? Kreuzungen mit solchen Stoppschildern funktionierten so, dass immer der Nächstkommende fahren kann. Eine „4“ bedeutet, es gibt vier potentiell Beteiligte, eine „3“ weist auf ein Wege-T mit drei Beteiligten hin. Diese Regelung ist flexibler als Ampelschaltung. Unsere Empfehlung: Nachmachen.
Einkaufen, Tanken mit mehr Personal
Neulich stand eine südafrikanische Freundin in Mainz an der Kasse von REWE und beobachtete entspannt, wie die Waren vom Förderband an der Kasse vorbei sich am Ende stauten. Sie wartete darauf, dass die Waren eingepackt würden. „Da kannst du bei uns lange warten“, war unsere Reaktion. Als wir jetzt in Südafrika in den Supermärkten waren, half man uns, die Waren einzupacken. Und wenn es mal keine Hilfskräfte gab, unterband die Kassiererin unsere Einpackbemühungen mit dem Hinweis, dies sei ihre Sache. So stehe es in ihrer Arbeitsbeschreibung. Unter arbeitsmedizinischem Gesichtspunkt ist ein derartiger Kundenservice sicher sinnvoll. Bei uns arbeiten Kassiererinnen unter enormen Druck bei wenigen unterschiedlichen Handbewegungen. Hilfseinpacker kennt man auch aus den USA. In den Niederlanden werden Arbeitslose, zunächst wohl nur in Modellversuchen, dafür genommen. Sie bleiben damit im Arbeitstraining und erfahren Wertschätzung. Ähnliches gilt an Tankstellen („mit und ohne Service“) und an vielen Orten mehr. Dass dabei eigentlich keiner der zumeist freundlichen Helferinnen und Helfer frei von Trinkgelderwartungen sind, ist natürlich falsch. Die meisten, auch jene, die unerbeten Parkplätze vergeben (die ohnehin da sind), sind auf Trinkgeld angewiesen. Die offizielle Arbeitslosenquote liegt bei 25 Prozent, bei Jugendlichen doppelt so hoch. In Wirklichkeit ist sie viel höher. So betrachtet ist die Trinkgeldabgabe ein kleiner Einkommensausgleich und allemal beliebter, als beraubt zu werden. Beide Abgabeformen ändern nichts an der enormen Ungleichverteilung von Einkommens-und Lebenschancen, die entgegen verbreiteter politischer Rhetorik der Regierenden nicht mehr haargenau entlang der Farbgrenzen verläuft. Sie selbst sind der beste Gegenbeweis. An dieser Stelle können wir von Südafrika nur lernen, Politik und Leistung eindeutig zusammen zu halten. Wenn Aufstieg nur über Beziehungen und Zugehörigkeiten funktioniert, ist das Ergebnis eine ungerechte Gesellschaft.
Freundlichkeit
Kein Dialog beginnt ohne die Frage „How are you?“ Wie geht es Ihnen? Danke. Und Ihnen? Ob Polizisten, Parkwächter, Kassiererin im Supermarkt, Lehrerin: immer erst der höfliche Einstieg. Wir Deutschen sind stolz auf unsere Direktheit. Wir halten das für einen Ausdruck von Effizienz. Manchmal aber ist der Umweg die Abkürzung, gerade in Sachen Höflichkeit und Freundlichkeit.
Schuluniformen
Die Pro und Contra Argumente zum Tragen von Schuluniformen ist in Deutschland sind bekannt. Uns leuchten die Pro-Argumente mehr ein. Vielleicht könnte man hierzulande mehr Ausnahmen von der Uniformität der Nichtuniformität wagen: Schüler, Eltern, Lehrer, Schulleitungen.
Unser Herkommen
Unser aller Wiege steht in Afrika. Wichtige Funde wurden in Südafrika gemacht. Cradle of Humankind ist bestens zu besichtigen in Höhlen und einem speziellen Museum nicht weit von Johannesburg, erstaunlich wenig besucht. Scheuen wir das Wissen um die langen Linien? Es macht uns demütig und öffnet uns Horizonte über unser Leben hinaus: in beide Richtungen. Bemerkenswert die Schlussfrage an der Ausgangstür des Museums. Ich lese, dass in Deutschland im letzten Wahlkampf mehr über die PKW-Maut als über den demografischen Wandel diskutiert wurde. Dabei ist selbst der nur eine Kleinigkeit der Weltgeschichte. Afrika lehrt uns das.
Enkel & Landschaft
Die Empfehlung, die südafrikanischen Landschaften einschließlich den weiten Himmel am Tag und den prangenden Sternenhimmel in der Nacht, nach Deutschland zu verpflanzen (mindestens als Ergänzung), ist so einleuchtend wie undurchführbar. Gleiches gilt für die in Südafrika lebenden Kinder und Enkel. In beiden Fällen gilt: Bald wieder hin und so intensiv wie möglich erleben.
Mit herzlichen Grüßen
Henning v. Vieregge