Brief Nr. 6/2010: Vom Netz her denken? Wie man für Relevanz sorgt

22 Apr
22. April 2010

Prinzipiell empfehle ich, die Informationsarbeit einer Institution vom Web her zu denken und die Pressearbeit in die klassischen Medien hinein der digitalen Kommunikation unterzuordnen.

Gilt dieser Rat auch für Personen PR? Ich jedenfalls kann mich auf der eigenen Homepage verbreiten, wann und wie ich will. Ich bin auch bei Xing und Facebook zu finden. Meinungsfreiheit ist kein theoretisches Recht. Jeder kann Meinungsfreiheit in einem bis dahin nicht praktizierten Maß praktizieren. Kleines Problem nicht nur am Rande: Mit der Zahl der Sender nimmt die Zahl der Empfänger ab. Im Extrem kommunizierst du zugänglich für jeden, aber nur du selbst nimmst es zur Kenntnis.

Ich weiß, dass ich froh sein kann, in einer Zeit ein Älterer zu werden, in dem es digitale Kommunikation gibt. Denn sie hält uns dran, auch nachdem der Informationsstrom, an den du als Angestellter in einem Unternehmen gewissermaßen natürlich angeschlossen bist, versiegt ist. So kann man in der Zeit bleiben und der Versuchung widerstehen, Geschichten mit “Zu meiner Zeit…” anzufangen.

Aber ich habe drei “Aber”-Erlebnisse gegen das Primat der digitalen Kommunikation. Sie helfen, den individuell richtigen Weg zu finden.

Das erste Erlebnis fand mit den Hohepriestern der digitalen Kommunikation, mit Google Managern, statt. Die wollten uns, Vertretern des GWA, klar machen, dass sie uns beim Effie-Wettbewerb mit ihren Messungen helfen könnten. Beim Effie geht es um die Auspreisung der effizientesten Werbe- und Kommunikationskampagnen eines Jahres. “Was nicht bei uns ist, ist nicht” lautete der Kernsatz unserer Gesprächspartner. Kann schon sein, dachten wir uns, kann aber auch nicht sein. Denn ist, was auffällt, relevant? Und nur das?

Das zweite Erlebnis hatte ich neulich bei einem Treffen von Wohnungsbesitzern mit ihrem Hausverwalter. Zu Ende der Versammlung, bei dem sich alle Eigentümer wiederum vergewissert hatten, dass sie mit ihrem Hausverwalter als Dienstleister sehr zufrieden sein können, fragte jemand, warum man ihn nicht per Mail und Fax erreichen könne. „Weil ich kein Mail und kein Fax habe”. In das fassungslose Staunen hinein ergänzte der freundlich-effiziente Mann, sein Anrufbeantworter informiere den Anrufer über seine Anwesenheitszeiten, lasse aber Nachrichten und Rückrufbitten des Anbieters nicht zu. Nur so könne er seinen Job zu unserer Zufriedenheit erfüllen. Er habe es mal mit Fax und Anrufbeantworter probiert. Ein Dienstleister wie er, der seine Leistung gegen eine Pauschale anbietet, werde beim Angebot bequemer Kommunikationswege mit jeder Menge mülliger Anfragen und Bitten überschüttet. Die Leute beschwerten sich, wenn er nicht sofort zurückrufe und er könne den – großenteils abzuwehrenden – Aufforderungen nicht nachkommen. So wie er es jetzt mache, sei relativ sicher gestellt, dass der Anrufer sich selber von der Relevanz seines Anliegens überzeugt habe.

Das dritte Erlebnis hatte ich bei einer Podiumsdiskussion im Kreis von Verbandsleuten. Ich hatte ausgeführt, wie wichtig die Online-Kommunikation für Verbände sei. Zustimmung im Saal. Dr. Hans Fleisch, Generalsekretär des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen, widersprach mir auch nicht. Er ergänzte aber: Noch nie in seinem Berufsleben habe er so viel mit der Hand geschrieben wie nun im Job als Verbandsgeschäftsführer. Denn er habe festgestellt, ein Brief , handgeschrieben, oder auch nur ein handgeschriebener Gruss oder Glückwunsch, das alles falle in der durch die Medienrevolution stark angeschwollenen Informationsflut positiv auf.

Die drei Geschichten taugen nicht zu einer grundsätzlichen Infragestellung der digitalen Revolution. Davon halte ich ohnehin nichts. Die Zeiten, in denen man meinte, sich als Technikmuffel profilieren zu können, sind endgültig vorbei. Aber: Die schnelle Online-Kommunikation suggeriert uns, oft erfolgreich, das Aktuelle sei das Relevante. Wie viel Arbeits- und – schlimmer! – Lebenszeit vernichten wir, in dem wir mit Aufwand und Eifer ordnen, was wir nicht in Unordnung hätten, wenn wir es nicht hätten. Unter dem Gesichtspunkt der Wertschätzung schließlich handeln wir vielleicht schlau, in dem wir altmodisch bleiben. Jedenfalls hin und wieder.

Schreiben Sie mir, wenn Sie meine Meinung teilen oder nicht teilen.

Mit besten Grüßen
Ihr
Henning von Vieregge

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