Brief 44/2013 Kirche und Zivilgesellschaft entdecken sich. Beitrag
Ehrenamt verändert Kirche
Kirche und Zivilgesellschaft entdecken sich.
„Was probiert ihr denn gerade aus?“ Drei Phasen der Krisenbewältigung
Guten Tag,
wer fragt sich nicht, ob in Organisationen auf Krisen immer zu spät, nie wirklich präventiv reagiert wird? Ich habe den Eindruck: So ist es. Meine Beispiele kommen aus der evangelischen Kirche und es sind vermutlich noch nicht einmal die spektakulärsten. Meine These: Die Kraft der „Laien“ wird beschworen, aber nicht genutzt.
Beispiel 1: Da beantragt ein Pfarrer bei seinem Vorgesetzten, während seiner dreimonatigen Abwesenheit nicht vertreten zu werden. Er meint, es sei eine gute Bewährungsprobe für seine Gemeinde, wenn die Ehrenamtlichen die Geschicke einschließlich Gottesdienste und Kasualien in die eigene Obhut nähmen. “Bei dem Pfarrermangel, der auf uns zukommt, wird es zukünftig ohnehin nicht anders gehen und vom protestantischen Glaubensverständnis spricht nichts dagegen“, meint er. Allerdings seien die Regelungen in den Landeskirchen (noch) so, dass es hierfür die Zustimmung der Leitung bedürfe. Er wartet seit Wochen auf eine Antwort. Fragt man einen Repräsentanten der Kirche Berlin-Brandenburg, wie er oder sie entscheiden würde, lautet die Antwort: „Wir würden uns über solche Anfragen freuen“. Fragt man, ob Kirche (wie andere Institutionen auch) erst in echter Krise Veränderungsbereitschaft zeige, lautet die Antwort schlicht und unzweideutig: „Ja“.
Dann, so darf man vermuten, gibt es trotz durchgängigen Krisengeredes eine Ungleichzeitigkeit in der Krisenreaktion. Phase Eins besteht in der Versuch aller Einzelinteressen, ihre Position zu verstärken. Das Ergebnis ist eine Verschärfung der Krise unter dem Deckmantel ihrer Bekämpfung.
So liegt – Beispiel 2– der Synode einer Westkirche ein Antrag vor, Prädikanten, also normale Kirchenbürger mit Predigerausbildung, aus dem Kasualiendienst (Taufe, Hochzeit, Beerdigung) prinzipiell auszuschließen. Dabei kann, mindestens im Notfall, nach protestantischer Auffassung jeder und jede Getaufte alles tun. Wer sich über Rückwärtsbewegungen innerhalb der katholischen Kirche mokiert, sollte sich lieber selbstkritisch im protestantischen Lager umschauen.
Beispiel 3: Da dient eine Theologin seit Jahren, spendenfinanziert aus den Mitteln ihrer Gemeinde, erfolgreich und anerkannt als zusätzliche Pastorin. Der neue Dekan kommt erstmals in die Gemeinde und sagt als ersten Satz zur überraschten Theologin: „Und Sie sind nicht Pastorin“.
Beispiel 4: Profilgemeinden erhalten keine Gemeindestatus. So in der Nordkirche in Vorpommern. Die treibende Absicht: Die Parochie als einzige Form zu zementieren; wenn Kirchenmitglieder davon abweichen wollen, ist das quasi ihr Privatvergnügen.
Wie weit weg sind solche Verhaltensweisen vom Ermutigungshandeln Vorgesetzter, wie sie beispielsweise der anglikanische Bischof Finney pflegte! Er berichtet, dass er, immer wenn er eine Pfarrei besuchte, die Frage stellte „Was probiert ihr denn gerade aus?“1. Die anglikanische Kirche scheint in Phase Drei der Krisenbewältigung angekommen zu sein.
Phase 1 ist krisenverschärfendes Handeln, Phase 2 die ernsthafte Anerkennung der Notwendigkeit veränderten Handelns und Phase 3 ist verändertes Handeln. Die evangelische Kirche steckt beim Thema Ehrenamt/bürgerschaftliches Engagement in und mit Kirche in Phase 1 und 2, und wenn es Ausbrüche in Richtung Phase 3 gegeben hat, so wird momentan viel Zement angerührt, um die geschlagenen Breschen wieder zu schließen.
Aber dies ist keine abschließende Feststellung, nur eine Zwischenbilanz. Noch ist Kirche nicht abzuschreiben, auch von der Zivilgesellschaft nicht. Vielleicht im Gegenteil: erst noch zu entdecken. Wechselseitig zu beidseitigem Vorteil.
Eine Langfassung dieser Gedanken finden Sie in einem Beitrag, der in der ersten Fassung in Wegweiser Bürgergesellschaft 7/2013 erschien. Die überarbeitete Fassung, an der weiter gefeilt werden wird, können Sie hier herunterladen.
Mit besten Grüßen
Henning von Vieregge
1John Finney , Fresh Expressions, Anglikanische Antworten in postmodernen Kirchensituationen,in : Philipp Elhaus, Christian Hennecke (Hrsg.), Gottes Sehnsucht in der Stadt. Auf der Suche nach Gemeinden für Morgen, Würzburg 2011, S. 91-102, hier S.99