Triggerpunkte-bei Steffen Mau und mir

07 Mrz
7. März 2024

310/März 2024

Guten Tag,

In meinem Buch „Unter der Glückshaube – Wie ich erwachsen wurde“ habe ich mich ausführlich, fast quälend, mit meiner einige Jahre währenden Auseinandersetzung mit den Eltern beschäftigt. Das war zwischen meinem 15. Und 17. Lebensjahr.

Ich bin beim Schreiben zu einer mich überraschenden Beobachtung gekommen. Ich habe, leider im Nachhinein, beide Eltern sind schon gestorben, ich hätte es ihnen gerne gesagt, herausgefunden, dass die Unterschiede in politischen, kulturellen Fragen viel geringer waren, als wir es damals eingeschätzt haben. Allerdings gab es Triggerpunkte, mit deren Hilfe sich die Flamme des Streits, wenn sie denn zu erlöschen drohte, neu entfachen ließ. Nun lese ich, dass ich mit dieser Beobachtung auf der Höhe soziologischer Erkenntnis bin. Steffen Mau, Soziologe, hat ein Buch mit dem Titel Triggerpunkte geschrieben. In einem begleitenden Artikel heißt es: „Bei vielen Themen liegt die breite Mitte der Gesellschaft ziemlich nahe beisammen. – Mit Ausnahme ebenjener Triggerpunkte, die von Polarisierungsunternehmern, insbesondere der extremen Rechten, gezielt gereizt werden.“ Ich war, keineswegs extrem rechts, so ein Polarisierungsunternehmer, und meine Eltern,

auch rhetorisch nicht schwächlich, waren es wohl bisweilen auch. Insbesondere im anfeuernden Miteinander.
Heute spielen die Medien, nicht nur die sozialen, eine gewichtige Rolle, Spaltungen zu suggerieren, wo sie empirisch nicht auffindbar sind. Allerdings gibt es nach Mau zwei Ausnahmen. Diejenigen, die nur mit ihrem Einkommen gerade so zurechtkämen, würfen einen äußerst feindseligen Blick auf Gruppen, die materiell noch hinter ihnen rangierten. Dieses Phänomen ist nicht überraschend, man kennt es aus den USA, wo die unteren weißen Schichten die Konkurrenz der Farbigen fürchten und sich mit Wucht abgrenzen. Bei der zweiten Gruppe, die der Soziologe ausmacht, können wir, die Leserschaft dieses Textes und ich, uns an die eigene Nase fassen.“ Es gibt auch so etwas wie eine ökologische Distinktion, eine Selbsterhöhung der akademisierten kulturellen Klasse. Gibt es eine Art Ökostolz, man hat Solarplatten auf dem Dach und bezieht Gemüse aus der Region, dann kann man auch in den Urlaub fliegen.“ Schön formuliert.

Mit herzlichen Grüßen
Henning v. Vieregge

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