Wie Hansi Flick gegen seine Absicht den Misserfolg der deutschen Fußball-Nationalmannschaft erklärt
Blog 182/Juni 2018
Guten Tag,
wem es immer noch an Erklärungen mangelt, warum die deutsche Fußballnationalmannschaft bei der diesjährigen Weltmeisterschaft bereits in der Vorrunde ausgeschieden ist – die schlimmste Niederlage des vormaligen Weltmeisters seit langem –, der ist eingeladen, die Ergebnisse der Innovationsforschung mit einem Interview mit Hansi Flick in der Wochenzeitung DIE ZEIT vom 28.6.2018 abzugleichen. Warum fallen Unternehmen fallen aus den vorderen Rängen heraus oder gehen sogar pleite? Beispiele wie Nokia, Kodak und IBM drängen sich auf.
Ein wichtiger Grund für Unternehmensniedergänge ist der Erfolg. Er ist der Anfang vom Misserfolg dann, wenn –wie es so irreführend verführerisch heißt, man auf der Erfolgsspur bleibt: immer mehr vom gleichen, nur keine Experimente. Gilt dies auch für den Sport? Hansi Flick, vormals Co – Trainer von Joachim Löw, ist bei dem Interview, das vor dem letzten Gruppenspiel stattfand, so optimistisch,“ weil unsere Erfahrung dann (gemeint ist ab Achtelfinale, was die Mannschaft nicht mehr erreichte) den Unterschied machen wird.“ Seit 2004 gebe es, so Flick, einen Masterplan, damals „kreiert und bis heute immer weiter verfeinert. Dazu passen keine harten Einschnitte, sondern Prozesse, die lange dauern.“ Bei dieser Formulierung fällt einem der mexikanische Trainer ein, der nach dem überraschenden Erfolg seiner Mannschaft sagte, er habe seinen Plan, wie gegen die deutsche Mannschaft zu spielen sei, schon vor einem Vierteljahr gefasst. Er war sich offenbar, und zwar, wie sich zeigte zu recht, sicher, dass sich seitdem in der Strategie der deutschen Mannschaft nichts Entscheidendes verändern würde. Flick wurde auch nach Sami Khedira gefragt. Der sei doch nicht mehr so dynamisch wie früher, meinte der Interviewer. Flick: „Seine Präsenz und Professionalität allein strahlt schon auf den Rest der Nationalmannschaft ab“. Das hätte er, wäre er nur danach gefragt worden, sicher auch über die anderen Weltmeister gesagt, die noch im Team sind. So wie Özil und Müller und Gomez, Boateng, Neuer und Hummels. Wir sind Führungsspieler, sagte der sympathische Khedira, und wir übernehmen Verantwortung für die jungen Spieler. Ein gewiss lobenswerter Vorsatz, der aber auch bedeuten kann, dass die Alten die Jungen zudecken, mehr verunsichern als nach vorne bringen. (Beispiel Kimmich). Nicht gefragt haben die Interviewer, ob die Zusammensetzung der Mannschaft ideal war. Ganz allgemein sagt Flick abwehrend: „Jung heißt nicht gleich erfolgreiche Zukunft“.
Hätte man aber seitens der Trainer alle unnötigen Störungen der Mannschaft vermieden, wären Neuer, Özil und Gündogan daheim geblieben, aus unterschiedlichen Gründen. Sie verunsicherten die Mannschaft zu einem Zeitpunkt, als sie sich finden sollte. Gleichzeitig fehlte dem Team Diversivität. Man kann das mit der Diversivität gewiss übertreiben, dann ist der Aufwand riesig und der Ertrag gering. Aber ein bis drei Leute, die anders ticken, hätte ein solches Team wohl vertragen. Ein solche Auswahl hätte im besten Fall die Leistung aller gesteigert.
Natürlich kann man sagen, im Erfolgsfall hätte man von einer glanzvollen Fortsetzung weltmeisterlicher Fußballkunst gesprochen. Das ist wie bei den Unternehmen: Wenn der Erfolg sich fortsetzt, können Kritiker, die ein disruptives Vorgehen fordern, in der Zuschreibung zwischen destruktiv und ahnungslos wählen. Und es wäre in den Worten des Hansi Flick mal wieder die Bereitschaft kritisiert, sofort wieder alles infrage zu stellen.“ Was für die einen eine Notwendigkeit der Erfolgssicherung ist, ist für die anderen „typisch für die Zeit in der wir leben“, also negativ. Die zum Zeitpunkt des Interviews für Hansi Flick total hypothetische Frage, ob ein frühes Ausscheiden der deutschen Mannschaft ein Erdbeben im DFB auslösen könnte, beantwortet der ehemalige Ko – Trainer in seiner Kontinuitätsausrichtung völlig folgerichtig: „Das kann ich mir nicht vorstellen, ich habe ja noch Kontakt zu meinen ehemaligen Kollegen. Der Präsident hätte den Vertrag mit Joachim Löw nicht vor dem Turnier verlängert, wenn er jetzt nicht zu seinem Wort stehen würde “. In vielen Unternehmen weiß man, dass nach etwa sechs, spätestens zehn Jahren Unternehmensleiter dazu neigen, sich zu wiederholen und beratungsresistent zu werden. Bei Politikern spricht man in diesem Zusammenhang gerne von Bunkermentalität. Es gibt zu dieser Feststellung nur wenige Ausnahmen. Innovation braucht personelle Rotation, in der Wirtschaft, im Staat und auch im Sport, der dann die inhaltliche Veränderung folgt. Wer zu spät kommt, den bestraft bekanntlich das Leben.
Mit besten Grüßen
Henning v. Vieregge