Der Leserbrief : Chance oder Belästigung?

09 Jan
9. Januar 2015

Beitrag 79/ Januar 2015

Guten Tag,

ich hatte auf einen Bericht vom 11.11. 14 einen Leserbrief an die Mainzer Allgemeine Zeitung geschickt und, nachdem ich wochenlang weder Bestätigung noch Abdruck sah, nachgehakt. Darauf schrieb mir der zuständige Journalist nach eigener Einschätzung „etwas patzig“ zurück. Diese Mail lud mich zu einigen grundsätzlichen Gedanken zum Beziehungsverhältnis Journalist-Leserbriefschreiber förmlich ein.

Wie, fragte ich mich, kann man das äußerst gedämpfte Interesse  einer Lokalzeitung an Leserbriefen erklären? Warum verhalten sich Zeitungen in einer Situation, in der sie durch verändertes Medienverhalten ihrer bisherigen und vor allem potentiellen Leser ernsthaft gefährdet sind, dermaßen distanziert und desinteressiert ? Warum nutzen sie nicht die Chance zu besserer Leserbindung? Oder ist das nachfolgend vorgestellte Beispiel nicht examplarisch für Printerzeugnisse, speziell Lokalzeitungen?

 In dem Leserbrief ging es übrigens um einen Vorstoß der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer bei Papst Franziskus, wonach er die deutschen Bischöfe dazu bringen soll, zur Familienzusammenführung syrischer Christen einen Fonds zu gründen. Da ich mich in der Frage der Familienzusammenführung dieser Gruppe durch den Mainzer Fall Rothe/Baho einigermaßen auskenne, weiß ich, wie schwer sich Ämter mit der entsprechenden Vorschrift tun und habe in dem Leserbrief folglich angeregt, dass die Landespolitikerin sich statt Symbolpolitik zu betreiben sich um die Aufgaben kümmern möge, die in ihrem unmittelbaren Verantwortungsbereich liegen. Mehr  dazu Blog Nr. 77   und Familie-Baho.de

Nachtrag 12.1.: Mein Tübinger Freund Max Steinacher hat mir seine Sammlung von Zeitungsreaktionen auf Leserbriefe zur öffentlichen Dokumentation überlassen. Sie zeigen, wie andere Zeitungen, regionale und überregionale, bei Leserzuschriften verfahren. Im Pressekodex des Presserates findet sich übrigens keine Benimm-Regel von Zeitungsredaktionen gegenüber Lesern bei Nichtberücksichtigung. Im Netz, auch im wikipedia-Beitrag über Leserbriefe, wird das Augenmerk auf Bedeutung und Form des Leserbriefes gelegt.

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Anlage 1

  1. Dezember 2014

Sehr geehrte Damen und Herren, ich hatte Ihnen einen Leserbrief „Malu Dreyer beim Papst“ geschickt. Das ist ca. vier Wochen her. Finden Sie es richtig, noch nicht einmal den Eingang eines Leserbriefs zu bestätigen und wenigsten so zu tun, als interessiere Sie die Meinung Ihrer Leser? Mich beschäftigt – ich war Geschäftsführer des Verbandes der Werbe- und Kommunikationsagenturen GWA- die Krise von Print, insbesondere der Lokalzeitungen. Mit diesem Verhalten vergrößern Sie die Krise. Ich habe den Beitrag mittlerweile auf meine Homepage gestellt www.vonvieregge.de  Das ändert aber nichts an meiner Nachfrage.

 

Mit besten Grüßen

Henning v. Vieregge

 

 

Anlage 2

  1. Dezember 2014

 

Sehr geehrter Herr von Vieregge,

 

trotz bevorstehender Weihnachtsfeiertage muss ich Ihnen eine etwas patzige Antwort geben: Angesichts der zahlreichen Leserbriefe, die allwöchentlich bei uns eingehen, hätte ich wahrlich viel zu tun, wenn ich jedem Schreiber den Eingang seines Leserbriefes bestätigte. Tut mir leid: Das ist nicht zu machen. Und eine Absage mit Begründung erst recht nicht.

 

Nichts für ungut, bitte. Frohe Festtage

Jens Frederiksen

 

 

 

Jens Frederiksen
Ressortleiter Feuilleton
Allgemeine Zeitung Erich-Dombrowski-Str. 2
55127 Mainz

Formularbeginn

Frederiksen, Jens

Formularende

 

Anlage 3

  1. Dezember 2014

Lieber Herr Frederiksen,

 

danke für Ihre Mail, die ich weniger patzig als vielmehr erhellend finde.

 

Sie sind überlastet, sagen Sie. Offenbar ist es eine Nebenaufgabe des Feuilletonverantwortlichen, Leserbriefe durchzulesen und zu entscheiden, welche gedruckt werden. Da haben Sie, schreiben Sie, keine Zeit zu einer formalen Rückmeldung, geschweige denn einer inhaltlichen. Sie versuchen gar nicht erst den Eindruck zu erwecken, als ob die Anregungen, die per Leserbrief eingehen, die Redaktion interessieren könnten. Ob diese Zeitung gut beraten ist, sich nicht mit der notwendigen Manpower für die Kommunikation mit ihren Lesern auszustatten, bezweifele ich, zumal sich gute Gegenbeispiele auch in Lokalzeitungen finden lassen: Da kommt grundsätzlich jeder Leserbrief ins Netz, Leserbriefen wird viel Raum im Blatt gegeben und die Redaktion lädt sich Kritiker ein, die ihr den Spiegel vorhalten. Offenbar nicht so in Mainz.

 

Meinen Sie,  Lokalzeitungen sind in der Situation, sich Einbahnkommunikation  weiterhin straflos leisten zu können? Das Monopol, das vielerorts im Pressewesen herrscht, auch in Mainz, besteht ja nur bei denen, die Zeitung lesen. Aber die Menschen haben zunehmend andere Möglichkeiten, sich zu informieren und zu partizipieren. Vor allem Jüngere gehen ins Netz, weil sie zu wenig Nutzen in Print sehen. Die Auflagenverluste kann man getrost dramatisch nennen. Es gibt einige gute Ideen, mit denen die AZ versucht, den Trend in seiner Wucht zu mindern. Kruschel gehört dazu.

 

Nutzen und Bindung, darüber wird diskutiert, nicht nur bei den Printmedien. Bindung geschieht über Aufmerksamkeit, die Relevanz und  Reputation schafft. Nicht nur die Printmedien müssen im Wettbewerb um Aufmerksamkeit bestehen. Pfarrer müssen bei ihren Pflichtaufgaben, Kasualien genannt, besonders aufmerksam und einfallsreich sein, Unternehmen bei Beschwerden von Kunden, Staatsverwaltung bei Anliegen von Bürgern. Und allen passt das nicht selten keineswegs in den Alltagskram und wird als Chance nicht genutzt. Genau wie bei Ihnen die Leserbriefe, eigentlich ideale Steilvorlagen, um beim Nutzer zu punkten.

 

Warum geschieht das Gegenteil, nämlich die Verärgerung des Leserbriefautors? Tun sich möglicherweise Journalisten in ihrer Selbstwahrnehmung als professionelle Kommunikatoren besonders schwer, echte, d.h. Zwei-Wege-Kommunikation zu praktizieren? Leserbriefschreiber sind  unter diesem Blickwinkel notorische Störenfriede, die die Mühen der Profis nicht honorieren wollen. Deswegen muss man sie sich vom Leib halten. Sie sind wie undankbare Kunden, freche Bürger oder Christen, die am unpassenden Tag versterben.

 

Sie, lieber Herr Frederiksen, haben den Fehler gemacht, auf meinen etwas fordernden Ton in der Beschwerdemail hereingefallen zu sein und entgegen Ihrer Auffassung und jenseits Ihrer Ressourcen doch geschrieben zu haben , was Ihnen – das war ja vorhersehbar- nun einen Folgebrief eingebrockt hat. Eine schöne Bescherung!

 

Mit besten Grüßen und guten Wünschen für 2015

 

Henning v. Vieregge

 

 

Anlage 4

  1. Januar 2015

 

Antwort Redaktion AZ an mich  steht aus.

Ich hatte bis 8.1. um Antwort gebeten, andernfalls würde ich den Vorgang auf meine Homepage und damit zur öffentlichen Diskussion stellen

© Copyright - Henning von Vieregge