Bürger, nehmt unseren Politikern die Angst vor den Lobbyisten des Öffentlichen Dienstes!

10 Sep
10. September 2013

Brief 51 vom 10. September 2013

Guten Tag allerseits,

Warum Peer Steinbrück doch lieber Bürger- als Beamtenschreck ist. Und wie Angela Merkel kalt die Chance zu heißer Empathie nutzte. Und warum das anders werden muß.
Eine Notiz mit Aufruf-Charakter zum TV-Duell zur Bundestagswahl 2013

Peer Steinbrück sprach im Duell mit der Kanzlerin am 1. September  in einem Moment der Unkonzentriertheit davon, es dürfe keine Schere zwischen Pensionen und Renten entstehen. Und schon wurde von der einen Journalistin losgewillt, was das denn bitteschön heiße?! Um wie viel Prozent sollten die Pensionen denn gekürzt werden? Das sei ja eine Sensation, diese Aussage von Herrn Steinbrück. Kunstaufregungen, Skandalisierungsbemühungen also. Kontrahentin Angela Merkel nutzte kalt ihre Chance, heiße Empathie zu zeigen, und barmte über den Schutzmann und seine kleine Rente, die die SPD ihm nicht gönne. Da solle er aber und der Feuerwehrmann auch bei der SPD nachfragen. Hätten sie doch ein Leben lang ihre Dienstbuckel hingehalten. Und müssten Steuern zahlen und die anderen nicht. (ein Irrtum der Kanzlerin, dem der Herausforderer nicht widersprach)

Der Beamtenbund verwahrte sich am nächsten Tag vor Debatten dieser Art und bemühte sich vorzurechnen, es gäbe keinen nennenswert größeren Zuwachs der Pensionen im Vergleich zu den Renten. Darüber streiten sich die Beobachter und heben die Unvergleichbarkeit der Systeme hervor; Intransparenz erschwert in der Tat die Argumentation. Wer den Abstand nach Geld und Sicherheit zwischen Renten- und Pensionsbeziehern auf den Prüfstand legt, -und dies ist das eigentliche Thema, die Zuwächse sind dagegen Petitessen, wird sich immer wieder vorwerfen lassen müssen, man dürfe nicht pauschalieren. Aber wenn man nicht aus dem Wust von Zahlen und Fakten einige grundsätzliche Aussagen destilliert,  wird, und dies gehört zum Waffenarsenal der Standes-Organisationen, jede Debatte im Ansatz erstickt.

Gehen wir von folgenden im Netz kursierenden Aussagen aus

  • Einem Beamtenhaushalt steht doppelt so viel Vermögen wie einem Nichtbeamtenhaushalt zur Verfügung.
  • Die Durchschnittsrente 2013 liegt bei 1176 € . Die Pension eines, um nur zwei Beispiele aus den unteren Beamtenrängen zu nennen, Polizeiobermeisters beträgt 2114 €,  eines  Oberamtsrats 3483 €. Ein Staatssekretär a.D. konnte sich allein in diesem Jahr über einen Pensionszuwachs von 491 € freuen.
  • Ein Beamter wird dank Beihilfe als Privatpatient behandelt .
  • Die Berechnungsgrundlage bei Pensionen liegt bei max. 71,75 Prozent des letzten Einkommens (nach 40 Dienstjahren), bei der  BfG Rente  nach 45 Berufsjahren (der quasi nicht existente Eck-Rentner) bei 53 Prozent (netto vor Steuern) liegt.
  • Im ersten Fall wird das letzte Gehalt, im zweiten der Durchschnittsverdienst  der Berechnung zugrunde gelegt.
  • Beamte sind bei Berufsunfähigkeit abgesichert, andere Arbeitnehmer nicht.
  • Betriebsrenten stehen längst nicht allen anderen Arbeitnehmer zur Verfügung (Tendenz rückläufig) und sindin aller Regel Festbeträge, anders als die Ruhestandsgehälter im Öffentlichen Dienst, die selbstverständlich wachsen und alle erhalten.
  • Und anders als  BfG Renten sind Pensionen nicht  auf eine Rentenformel ausgerichtet , die auch die Demografie- Entwicklung berücksichtigt und damit unter dem Gehaltszuwachs und häufig unter der Inflationsrate liegt.
  • Bei der BfG Rente kann nicht mehr ausgegeben als eingenommen werden, (abgesehen vom Staatszuschuss für systemfremde Leistungen),  zur Bezahlung der Pensionen werden neue Schulden gemacht. Denn nur für einen ganz geringen Teil der zukünftigen Pensionen sind Rückstellungen angelegt.
  • Jeder Arbeitnehmer kann betriebsbedingt entlassen werden, nur der im Öffentlichen Dienst nicht.
  • Freie Mitarbeiter  sind sogar Verfügungsmasse, Honorare und Vergütungen werden zur Zeit unter jede Schmerzgrenze gesenkt.

Zu fragen ist: Ist das alles gerecht, soll das alles so bleiben?  Eine Gerechtigkeits-Debatte, die enttabuisiert,  ist überfällig. Dies umso dringlicher für den  absehbaren Fall einer Mischung aus Staatsschulden- und Demografie- Bewältigungskrise. Die Vermutung müsste überprüft und politisch widerlegt werden, wonach  die Sicherung der Ansprüche der Staatsbediensteten vor den Ansprüchen der Bürger rangiert.  Denn dies hätte  zur Folge, dass die Bedingungen für heutige und zukünftige Rentenbezieher weiter verschlechtert würden, damit die Altersbezüge im Öffentlichen Dienst bezahlt werden können. Es muss in der Debatte geklärt werden, ob Korrekturen im Öffentlichen Dienst (Entlassungen aus betrieblichen Gründen, Gehaltskürzungen, Kürzungen der Altersbezüge) im akuten Krisenfall ins Handlungsportfolio staatlicher Organe gehören. Die Schwierigkeit besteht darin, das Funktionieren des Staates (wenig Korruption, Selbstbedienung, Vetternwirtschaft, verhältnismäßig intelligente Strukturen, verhältnismäßig gute Einstellung zum Dienst und zum Staat) nicht zu gefährden, aber andererseits in schwierigen Zeiten nicht ausgerechnet die Arbeits- und Einkommensverhältnisse der eigenen Leute für unverrückbar zu erklären. Gleichheit und Leistung müssen in Balance sein, das gilt für jeden einzelnen, jede Gruppe und insgesamt zueinander.

Die Bürger müssen ihren Politikern die Angst vor den Lobbyisten des Öffentlichen Dienstes  nehmen. Wir brauchen eine parteienübergreifende Ermutigungs-Initiative von Bürgern. Heute ist es, siehe Peer Steinbrück, ein halbes Politiker-Selbstmordprogramm, sich auch nur zaghaft mit Beamtenbund , Gewerkschaft Verdi und den anderen Playern des Öffentlichen Dienstes  anzulegen. Dass die meisten Politiker dem Öffentlichen Dienst angehören und nach Karriereende in der Politik nahtlos dahin zurückkehren, ist wahrscheinlich noch nicht einmal ein ausschlaggebendes  Argument für deren Beklommenheit, die auch einen so forschen Politiker wie Peer Steinbrück zurück rudern lässt. Und dabei ging es doch nur um eine Bemerkung, die eigentlich bei funktionierendem Gerechtigkeitssinn selbstverständlich ist. Die SPD erklärt uns nun, was der Kanzlerkandidat gemeint hatte: eigentlich gar nichts. Und wenn was gemeint sein könnte, dann ist es nicht aktuell, sagt SPD-Chef Gabriel. Die Angst der Politiker, als Feind des Öffentlichen Dienstes geoutet zu werden,  ist strukturell. Die Unterwerfungsformel lautet: Es gibt in dieser Frage keinen aktuellen Handlungsbedarf.

Wir lernen: Es lässt sich Polit-Karriere gegen die Kirche, gegen die Wirtschaft, gegen die Zivilgesellschaft, sogar in gewissem Umfang ohne liebende Aufmerksamkeit der Medien machen, aber nicht gegen den Öffentlichen Dienst. Es ist dem Beamtenbund und der Gewerkschaft Verdi gelungen, die Arbeits- und Einkommensbedingungen des Öffentlichen Dienstes   vollständig zu einem Tabuthema zu machen. Politisch unkorrekt handelt, wer dagegen verstößt.  Vorgeschoben werden der kleine Schutzmann, der brave Feuerwehrmann, die aufopfernd engagierte Kita- Erzieherin.  Hinter deren Rücken lässt sich ungestört leben. Hier muss entschieden evolutionär verändert werden. Das geht nur über Störung: Enttabuisierung, Problematisierung und Faktencheck. Wenn Steinbrück hier, vermutlich gegen seine taktische Marschroute, einen Stein ins Wasser geworfen hat, der nun doch Wellen zieht, dann wäre dies eine bemerkenswerte Folge des sogenannten Kanzlerduells.

Aber nochmals: Hier muss der Bürger ran. Die Zivilgesellschaft reklamiert ihren Eigensinn. Hier könnte sie ihn beweisen.

Mit herzlichem Gruß
Henning von Vieregge

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