Brief 38/2012 2017, Die neue Reformation von Fabian Vogt
Hat Glauben noch revolutionäre Kraft?
2017, Die neue Reformation von Fabian Vogt, Adeo Verlag, Asslar 2012
Guten Tag,
im neuen Jahr soll alles besser werden, das ist doch klar. Aber wie macht man die Kirche besser? Fabian Vogt, Pfarrer, Liedermacher, eine Säule von Duo Camillo und Geschichtenerzähler, weiß, wie. Und er hat seine Empfehlungen in einen Roman verpackt. Paulus, Luther und ein junger Vikar sind dabei. Lesen Sie dazu meine Rezension:
Leseprobe: Die neue Reformation von Fabian Vogt
Liebe Leserin, lieber Leser,
Vorhersagbar ist Folgendes: Am 7. Juni 2015, einem Sonntag, wird es bei der Rückfahrt vom Stuttgarter Kirchentag garantiert Dialoge geben, die in etwa so gehen:
- „Und? Was nun? Schließen wir nun auch einen Bund zur Erneuerung unserer Kirche oder fehlt Euch der Mumm?“
- „Wer macht den ‚Christian‘?“
- „Haben wir einen ‚Matze‘? Wo ist ‚Friederike‘?“
Wer dann ratlos guckt, hat echt was verpasst: Er/Sie hat den (bis dahin mit Sicherheit viel diskutierten) Roman von Fabian Vogt „2017 – Die neue Reformation“ nicht gelesen. Sonst würde er Christian von Haewen, Jahrgang 1990, seine Freundin Friederike und seinen kongenialen Partner Matze kennen, die just bei dieser Rückfahrt vom Kirchentag beschlossen haben, ihr Gemeindeleben so umzumodeln, dass immer Kirchentag ist: eine Kirche, die Freude macht und nicht langweilt. 2017 kam dann nach zweijähriger Reformerfolglosigkeit der überraschende Durchbruch mit 95 Thesen zur Erneuerung der Kirche, ganz im Stile Martin Luthers ein halbes Jahrtausend zuvor. Frisch, fromm, fröhlich, frei gingen die jungen Leute ans Werk, den durchschlagenden Erfolg besorgten dieses Mal nicht Cranach und Gutenberg, sondern Matze und Faithbook. Nun: Wer es wagt, im Inhalt zu fromm und in der Form zu frech zu sein, riskiert es, seine Kirchenoberen zu verprellen und am Ende, so ergeht es dem Jungreformator Christian von Haewen, durchaus zunächst gegen seinen Willen und zu seiner Verwunderung, aus der Erneuerung eine Neugründung zu machen, aus der Evolution eine Revolution. Aber das alles wäre bestenfalls Stoff für ein nettes „Christenträumerbuch“ geworden, ein „Was-man-alles-tun-könnte-wenn-man-es-denn-täte-Buch“.
Fabian Vogt aber bringt Spannung und Tiefgang in sein Thema durch Zeit- und Ortverschiebung: Das Buch spielt im Jahr 2042 überwiegend in Griechenland. Wir sind im 25. Jahr nach Gründung der „Lebendigen Kirche“ (LK). Der Reformator soll zu diesem Anlass eine Rede halten und ist komplett ratlos. War sein Werk gut? War es Gottes Wille? Er reist zu seinem alten Freund und Lehrer Gregor, den Lebenswirren an die türkische Küste verschlagen haben. Das Fischerdorf Dalyan liegt neben dem Ausgrabungsort Alexandria Troas , und, bibelfesten Lesern dämmert es, das ist genau dort, wo den Apostel Paulus Jammer und Zweifel ob der scheinbaren Erfolglosigkeit seiner Missionsarbeit packten. Bis er Gottes Ruf vernahm, er solle übersetzen nach Mazedonien und dort, auf dem europäischen Festland, sein Werk fortsetzen. „ Da wollen wir jetzt auch hin“, sagte der eine Zweifel- Zausel zum anderen Zweifel- Zausel, Christian zu Gregor, zweitausend Jahre später. Und der besorgt schließlich bei der attraktiven Türkin Nilgül ein Boot, und schon haben wir den schönen Start einer Liebesgeschichte. Denn Nilgül bleibt dran. Und dann gibt noch jemanden, einen, der Christian nach dem Leben trachtet, während die kleine Reisegruppe im heutigen Kavela, damals Neapolis, landet und sich auf den langen Weg nach Korinth macht, so wie vordem Paulus auch. Der kluge Gregor beschreibt die Reise so, dass wir am liebsten die Koffer packen und nachreisen möchten, während Reformator Christian der neugierigen Nilgül die 25 Jahre Geschichte seiner Kirche im Schnelldurchgang erzählt. Mit dem intelligenten und kurzweilig zu lesenden Einsatz verschiedener Stilmittel übrigens: vom Protokoll einer Besprechung zwischen Oberkirchenräten und dem aufmüpfigen Vikar Christian, über ein Günter Jauch-Interview mit dem jungen Kirchengründer, einer Präsentation einer soziologischen Dissertation über die neue Bewegung, bis zu einem mokanten SPIEGEL Artikel lernen wir die „Lebendige Kirche“ von allen Seiten kennen, durch Erfolge und Krisen.
Wird der Reformator überleben? Wird er sich zur Liebe mit Nilgül bekennen? Und vor allem: Was lernt er auf dieser Paulus-Reise für seine Zwischenbilanz zur neuen Kirche? Wir verraten hier das Ende des Romans nicht. Nur so viel: Der theologische Paulus-Fan kommt ebenso wie der Kirchenverzweifelte auf seine Lese-Kosten. Aber auch alle jene, die Gott auf ihrer persönlichen Agenda überhaupt nicht mehr stehen haben oder auch jene, die Lust auf eine spannende Geschichte haben von einem, der auszog, die Welt ein bisschen lebenswerter zu machen: Ihnen allen ist „2017“mit Nachdruck zu empfehlen. Fabian Vogt, dem Theologen, Kabarettisten („Duo Camillo“) und Künstler, ist ein großes Buch gelungen. Es sollte im Vorfeld von 2017 an möglichst vielen Orten öffentlich gelesen werden. Martin Luther hätte seine Freude dran.
Mit herzlichen Grüßen
Henning von Vieregge