Brief 37/2012 15 Thesen zum Silver Patchwork-Life

07 Dez
7. Dezember 2012

Was Hörer zum Ruhestand interessiert,15 Thesen zum Silver Patchwork-Life, Langsam, leise und respektvoll

LLR – eine Formel für die Zivilgesellschaft

Geschenketipp: Mein Buch jetzt auch elektronisch

Liebe Leserin, lieber Leser,
Die IGS Landau hat ihr Leitbild auf drei Begriffe gebracht, nach denen das Zusammenleben in der Schule gestaltet werden soll: LLR. LLR steht für langsam, leise und respektvoll.

Eine Sendung des SWR 2 Reihe Tandem hatte diese Qualität. Es ging am 29.11. 2012 um das Thema „Engagement Älterer“. Ich war der eingeladene Experte, Hörer konnten anrufen. Nimmt man noch das am Morgen gesendete Feature (auch abrufbar) „Unruhestand“ dazu, kann man nur feststellen: So kann öffentlich-rechtliches Radio sein.

Audio: SWR2 Tandem „Was kann ich Sinnvolles im Ruhestand tun“

Nochmals zur LLR-Formel: Die könnte auch als Ratschlag bei Übergängen stehen: Nimm Dir Zeit, sowohl für die Trauer, den Blick rückwärts, auch für die Suche nach dem, was an die Stelle des Verlorenen tritt. Gewöhne Dich daran, dass Du, wenn Du aus Deiner Arbeit ausscheidest, in Zukunft leiser wahrgenommen wirst; mache eine Tugend daraus. Und schließlich: Gehe mit Dir respektvoll um. Und natürlich auch mit Deinen Nächsten. Sie rücken nun näher, das ist auch für geübte Beziehungen eine Herausforderung.

Was man sonst noch für den Übergang aus der Vollbeschäftigung in den Übergangszustand, der zumeist mit dem Verlegenheitsbegriff „Unruhestand“ bezeichnet wird, feststellen kann, habe ich neulich für eine Tagung in Mainz in 15 Thesen aufgeschrieben. Sie sind Destillat aus meinem Buch „Der Ruhestand kommt später“. Das liegt übrigens bei Amazon jetzt auch in elektronischer Fassung vor.

Hiermit möchte die 15 Thesen zur Diskussion stellen:

  1. Die Zuschreibung „verdienter Ruhestand“ verliert an Attraktivität. Wer sie verwendet, gerät in den Verdacht, sich einer antiquierten Tröstungsformel zu bedienen, deren wahre Botschaft lautet, der Angesprochene solle aus der Arbeit gehen und sich nicht mehr einzumischen.
  2. Die Erkenntnisse der Alternsforschung („Körperliche, geistige und soziale Beweglichkeit halten fit.“) erreichen die Betroffenen und bestimmen deren Handeln; das historische Neue – Stichwort Drittes Lebensalter- wird erkannt und bestimmt das Handeln.
  3. Der pure Ruheständler verliert an Prestige. Je mehr sogenannte Ruheständler etwas tun, bezahlt und/oder unbezahlt, je mehr fällt der auf, der nichts tut. Was gestern Mainstream war, ist morgen Randerscheinung.
  4. Der Wunsch, weiter tätig bleiben, breitet sich aus. In den USA spricht man von Encore Career. Aber: Die Zweit-Karriere soll sich von der ersten unterscheiden. Sie soll sinnvoll sein. Sie soll nicht durch den Tunnelblick, der nach häufiger Selbsteinschätzung notwendige Konsequenz einer erfolgreichen Berufsausübung war, bestimmt sein.
  5. Ich nenne dieses Konzept „Silver Patchwork-Life“. Bezogen auf Arbeit hat es bezahlte, teilbezahlte und unbezahlte Teile; Mix befruchtet, Work-Life Balance in Kommunikation.
  6. Der Arbeitsmarkt für Ältere („silver worker“) kommt in Bewegung und kann bewegt werden.
  7. Die Generation, die jetzt aus der Vollbeschäftigung ausscheidet, ist geschichtsverwöhnt; ihr berufliches Leben war bruchlos erfolgreich. Sie ist somit in besonderer Weise für eine Encore Career geeignet , tut sich aber praktisch oft erstaunlich schwer; direkte Ansprache, Ermutigung und Übergangstraining sind hilfreich.
  8. Verabschiedungen klappen meistens, Abschiede selten. Übergangsschmerzen (Ab- und Umrüstaufgaben) sind zumeist unvermeidlich. Die Bindung an das Leben lockert sich durch den Wegfall des Sinngebers Bezahlarbeit. Es fehlt nun an Stimmigkeit. Erst wenn die Bindung neu begründet ist, ist der verletzbar machende Unruhestand überwunden.
  9. Statusängste sind für viele Arbeitnehmer im Übergang bedrängender als materielle Sorgen und die Furcht, im nun selbstorganisierten Alltag zu scheitern. Der Arbeitsverlust ist als Schmerz über Beziehungs- und Zuwendungsverluste fühlbar. Das Thema ist aber tabubehaftet.
  10. Den Unruhestand kann man unterdrücken („Es hat sich eigentlich nichts geändert“) oder zulassen. Im zweiten Fall führt bei positivem Verlauf die Integration des Neuen in eine nach einem Veränderungsprozess gefundene neue Struktur; das braucht Zeit.
  11. Empathie und Generativität sind wichtige Treiber des Lebens. Das Menschenbild des homo oeconomicus gerät immer stärker in empirisch fundierte Zweifel. Es gibt „philanthropische Impulse“ (Strachwitz), neben dem privat und beruflich bestimmten Leben auch ein philanthropisches, mit schwimmenden Grenzen zum familialen.
  12. Das Konzept „Gewonnene Jahre, gewonnene Lebensqualität“ muss formuliert, gewollt und dann erstritten werden. Es schließt in seiner Botschaft von der Balance zwischen privatem, beruflichem und philanthropischem Leben als Bedingung gelingenden Lebens die jüngeren Jahrgänge ein, setzt aber bei den Älteren an.
  13. Unternehmen bremsen durch Diversity Management für Unternehmen und Mitarbeiter  gleichermaßen unerwünschte Cooling Out Prozesse . Indem die Führung frühzeitig mit den Mitarbeitern Arbeits- und Lebensperspektiven auf den Prüfstand stellt, schaffen sie individuell ausgestaltete Übergänge, bei denen beide, Unternehmen und Mitarbeiter, gewinnen.
  14. Unternehmen nutzen die Chance, CSR- und Volunteering-Aktivitäten mit den Interessen von Mitarbeitern und ehemaligen Mitarbeitern zu verknüpfen. Dies stärkt die Arbeitsproduktivität und zudem die Reputation des Unternehmens als empfehlenswerter Arbeitgeber.
  15. Gute Planung einer dreifachen Karriere (privat, beruflich, philantropisch) sollte in der Lebensmitte (45-50) intensiviert werden. Es geht um Optionen wie breitere Aufstellung im Beruf und über die Berufsränder hinaus, die Mach- und Wünschbarkeit einer encore career und sinnerfülltes Leben bis zu seinem Ende. Es ist sinnvoll, sich auf ein langes Leben (Schlagzahl 100) einzustellen.

Quelle: Thesen beim 18. Symposium zur Betrieblichen Gesundheitsförderung „Altersgerechtes Arbeiten im Rahmen des demografischen Wandels“ AG Silver Patchwork-Life, Persönliche und betriebliche Konsequenzen aus einem neuen Lebenskonzept Mainz 29.11. 2012

Mit herzlichen Grüßen
Henning von Vieregge

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