Drei Freugeschichten: Warum ich gern bin, wo ich bin

19 Jun
19. Juni 2017

Blog 153/Juni 2017

Guten Tag,

„Geschichte trennt, Geschichten verbinden“. Dieser Satz des Deutschrumänen und Siebenbürger Sachsen Eginald Schlattner trifft zweifellos auf die bewegte Geschichte Siebenbürgens mit seinen Ungarn, Deutschen, Rumänen, Juden und Roma zu. Ersetzt man „Geschichte“ durch „Ideologie“ oder „Angst“,so bleibt der Satz immer noch richtig; in jedem Fall verbinden Geschichten.

Ohne Absicht verunsichert (Mombacher Schwimmbadgeschichte 1)

Im Schwimmbad sagte ich zu der Frau an der Kasse wie jeden Morgen laut und deutlich „Guten Tag“. Sie sah mich an. Wollen Sie sich meiner Dauerkarte versichern?, fragte ich leicht irritiert. Denn normalerweise reicht der Gruß, um durchgewunken zu werden. Sie nickt.
– Gern, aber…
Sie sind doch der Mann mit dem Buch
– Ja, der bin ich
Sie haben meine Kolleginnen erschreckt
– Oh Gott, wie das?
Sie haben geschrieben, dass Sie ihre Dauer- Karte nur ein bisschen zeigen und das reiche
– Ja und?
Die Kolleginnen waren ganz verunsichert. Sie haben daraufhin wochenlang jeden Ausweis gründlich angeschaut
– Ach herrje. Ich meinte das doch positiv. Mich hat die Reaktion der Kolleginnen gefreut. Dass sie mich erkannt haben, dass sie mich kennen.
Das hat der Chef auch gesagt.

Ich eile nach Hause und schaue nach, was ich geschrieben habe: „An der Kasse des Schwimmbads sitzt eine von fünf Kassiererinnen, die sich innerhalb eines Monats abwechseln. Jede von Ihnen kennt mich, weiß von meiner Halbjahreskarte; ich muss Sie nicht vorzeigen. Das ist ein Genuss der eigenen Art. Ich bin hier jetzt bekannt. Aber ich deute durch halbes öffnen der Geldbörse an, dass ich die Dauerkarte jederzeit vorzeigen könnte. “ (aus:Startschuß mit 60)
Es fehlt in der Tat der Satz: „Sie kennen also ihre Dauerkunden und das gefällt mir.“ Ich schicke diesen Satz mit einer Entschuldigung an die Damen. Manchmal ist es gar nicht einfach, so zu loben dass kein Zweifel aufkommt.

Sprayer willkommen an der Schwimmbad Mauer

Die Eingangsmauer zum Mombacher Schwimmbad in Mainz ist seit langem durch Graffiti verunziert. Besonders Fans von Mainz 05 fanden es offenbar wichtig, ihre Sympathien durch einen riesigen Schriftzug, mit dem sie sich als Ultras outeten, zu verewigen. Die Ewigkeit geht möglicherweise schneller zu Ende als es sich die Sprayamateure vorgestellt haben. Denn seit heute machen ihnen zwei brasilianische Graffiti Künstler den Platz an der Betonmauer streitig. Sie haben ihre Dosen aufgestellt und Zeichnungen von sich ausgestellt. (Foto) Es gibt aufmunternde Musik dazu, und sie sind am Werk.(Foto) Man kann schon einen riesigen blauen Fisch mit gelben Augen und gelben Zähnen und rotem Mund bewundern, von dem man nicht weiß, ob er im nächsten Moment lacht oder beißt.(Foto) Ein Landsmann, der als Schwimmmeister arbeitet, hat die beiden Künstler bei einem Festival in Wiesbaden letzte Woche entdeckt und angeheuert. Eine wunderbare Idee, die funktioniert, weil im vom Mainzer Schwimmverein 1901 geführten Bad der Dienstweg super kurz ist und die Innovationsbereitschaft hoch. Was für eine schöne Idee.
Hier, liebe Ultras, seht Ihr, was eine schöne zielgruppengerechte Zeichnung an der Stelle ist, wo ihr euren Glaubenssatz angebracht habt, mit Sicherheit zum Schaden des Familienvereins Mainz 05.

Ein Trollo und sein Trolley oder Wie zwei Polizisten mein Gepäck bewachten

Für mich jedenfalls war es neu, ein Gepäckstück von mir in öffentlicher Bewachung zweier gut gerüsteter Polizisten, einer links vom Trolley einer rechts vom Trolley zu sehen. Und das kam so: Nach einer langen Bahnreise saß sich etwas erschöpft und doch gefesselt von einer spannenden Buchlektüre auf der Wartebank der Straßenbahn nach Gonsenheim, den Trolley seitwärts abgestellt, den Rucksack auf den Knien. Als ich hochschaute, stand da meine Straßenbahn. Wie lange war sie schon da? Würde sie gleich losfahren? Ich sprang auf, nahm meinen Rucksack und sprang rein. Beim Aussteigen erst kam mir mein Missgeschick ins Bewusstsein: Wo war mein Trolley ? Ich rannte nachhause und rief meiner sich freundlich nähernden Frau zu: Es ist etwas passiert. Um Gottes willen was denn? Ich erklärte es ihr, schnappte mir den Autoschlüssel und bat sie, die Polizei anzurufen. Auf dem Weg zum Bahnhof standen alle Ampeln auf Rot. Meine Frau meldete sich. Die Polizei wolle sich drum kümmern. Damit war sichergestellt, dass mein Gepäckstück nicht zwischenzeitlich von den Staatsorganen in die Luft gesprengt würde. Der nächste Anruf von ihr bestätigte meine geheime Befürchtung: Die Polizei habe den Koffer nicht finden können.
Ich begann, im Geiste eine Liste der verloren gegangenen Gegenstände aufzusetzen, sortiert nach ihrer materiellen und ideellen Wertigkeit.Das sollte mich aber nicht davon abhalten, die leere Stelle neben der WEartebank mit eigenen Azugen zu inspizieren. Ich parkte hinter dem Bahnhof, rannte durch das Gebäude und lief auf die Wartebank zu. Was ich sah, kam einer Fata Morgana gleich. Mein silberner Trolley glänzte in der Sonne und siehe oben. Sind sie das?, fragten die beiden Polizisten, hatten aber keinen Zweifel. Ich machte offenbar einen hinreichend trotteligen Eindruck. Ich bedanke mich, lobte die beiden im speziellen und die Polizei im allgemeinen und dies aus vollem Herzen. Gerne hätte ich Ihnen noch zehn Euro gegeben oder 20, aber ich habe mich nicht getraut, denn unsere Polizei funktioniert doch ohne Bakschisch. Der Satz mit der Kaffeekasse fiel mir in meiner Freude leider nicht ein.

Ich nehme gern an dieser Stelle weitere positive Geschichte auf. Denn sollten wir nicht wenigstens hin und wieder die Freude an dem, was einfach gut klappt und unser Leben bereichert, teilen?

Mit herzlichen Grüßen
Henning v. Vieregge

Nachtrag: Die brasilianischen Profisprayer haben sich verewigt. Mit Recht.

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