Abfall-Robin-Hood erledigt? Lehrstück einer Diffamierung

12 Mrz
12. März 2014

Brief 60/2014 vom März 2014

Guten Tag

Rainer Schäfer sammelte seit 28 Jahre weitgehend unbemerkt Müll in eigene Säcke und auf eigenen Fährten. Vor einigen Monaten wurden die Medien auf ihn aufmerksam. Er hatte sein Revier nach Mainz ausgedehnt und ZDF, SWR und auch die Mainzer Allgemeine hatten es bemerkt. Aus Rainer Schäfer wurde der Abfall-Robin-Hood.

Ich hatte in meinen Briefen 54,56 und 57 berichtet, wie die der Mainzer Entsorgungsbetrieb auf den zunächst anonymen Sammler reagiert hatte („Eigentlich unerlaubt, macht uns Mehrarbeit“). Als Schäfer mittlerweile als Person in der AZ und anderswo vorgestellt, bei seiner zweiten Runde in Mainz monierte, von ihm gemeldeter Sondermüll sei immer noch nicht weggeschafft, musste mit dem Mann aus Kröv an der Mosel was passieren.

Nahegelegen hätte, der Oberbürgermeister, die Abfalldezernentin oder der Leiter des Entsorgungsbetriebs hätten sich ein persönliches Bild von dem ungewöhnlichen Mann gemacht. Das passierte nicht. Stattdessen wurde dem Hartz Vierer schriftlich eine Bewerbungsaufforderung zugeschickt.  Am 17.2. fand sich dann ein Vierspalter mit Foto und Kommentar in der Mainzer Rhein Main Presse. Überschrift: „Abfall-Robin-Hood“ lehnt Job ab. In dem Beitrag wurde der Leiter des Mainzer Entsorgungsbetriebs zitiert: „Wir haben ihm einen Job als Straßenreiniger offeriert. Damit kann man auskommen und Herr Schäfer hätte etwas Festes“. Man habe seine Aktionen begrüßt und könne tüchtige Menschen wie ihn brauchen. Im Kommentar unter der Überschrift „Kein Happy End“ wird dann der entscheidende Schlag geführt:  „Er lehnt die Chance ab, seiner offensichtlichen Passion in offizieller , vor allem bezahlter Mission nachgehen zu können; das macht ihn unglaubwürdig und schürt leider auch genau die Vorurteile, mit denen sich Hartz IV-Empfänger laut Arbeitsagentur oft konfrontiert sehen-nämlich zu wählerisch und nicht arbeitswillig zu sein.“

Was hier passiert ist, ist die hohe Schule eines PR-Manövers: Entweder der Mann lässt sich einstellen und fegt täglich von 6 bis 14.30 Uhr, was ihm aufgetragen wird.  Dann hat er nichts zu melden, jedenfalls nicht öffentlich. Seine Wirkung, die auch bei den Mainzern spürbar groß ist, die sich fragen „Wieso findet der Mann so viel Müll in unseren Grünanlagen?“, wäre einkassiert. Oder er lehnt ab, dann kann man ihn in der zitierten Weise vorführen: Er hat sich unglaubwürdig gemacht. Ein Manöver also, das in jedem Fall zum Sieg der Verwaltung über den eigensinnigen Mann aus Kröv führt. Ein Lehrstück einer Diffamierung.

Dazu muss man noch wissen:  Schäfer hatte lediglich die Aufforderung erhalten , seine Unterlagen einzureichen  (welche  im einzelnen , erfuhr er aus dem besagten Presseartikel) . Zum Zeitpunkt des Erscheinens des Zeitungsbeitrags (und bis heute nicht) hat man ihm ein schriftliches Angebot über Arbeitszeit, Arbeitslohn und sonstige Bedingungen vorgelegt. Eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch gab es nicht. Das alles zeigt, mit welchen Tricks gearbeitet wurde um des Erfolgs willen: den Robin Hood des Abfalls wahlweise an die Kette  zu legen oder an den Schandpfahl zu binden.

Schäfer sammelte übrigens einige Tage nach dem Erscheinen des Zeitungsartikels mal wieder für zwei Tage in Mainz zwischen Lerchenberg und Bruchwegstadion. Ergebnis 5500 Liter Müll. Ein Bürger, berichtet Schäfer, habe sich gewundert, dass er um sieben Uhr morgens am Bruchwegstadion unterwegs war. Er habe gedacht, Hartz Vierer könnten so früh nicht aufstehen. Die Mainzer Presse berichtete dieses Mal  nicht. Sie hatte ihren Teil ja schon geleistet.

Was kann man aus dem Vorgang lernen? Bürgerengagement mit Eigensinn hat es schwer.

Die Vorstellung, dass nach gründlichem Kennenlernen die Stadtverwaltung beschlossen hätte, den Schäfer machen zu lassen, wie er es für richtig hält, wann und wo und im Kontakt mit den Bürgern und ihm für sein Tun eine kleine Gage zu zahlen , kurzum diesem Lebenskünstler seine Kunst zu lassen, rosa Säcke am grünen Straßenrand , adrett und mit freundlichem Gruß an die Bürger aufgereiht, kommt den Verantwortlichen nicht in den Sinn. Es übersteigt ihre Phantasie.

Bürgerengagement hat nach den Gesetzen der Verwaltung zu funktionieren, dann gibt es am offiziellen Müllsammeltag sogar ein warmes Mittagessen.

Man könnte mit diesem Querkopf aus Kröv  außerordentlich erfolgreich für nachbarschaftliches Müllsammeln und gegen Umweltverschandelung werben. Jugendliche zumal werden durch solchen Eigensinn besser erreicht als durch die üblichen Appelle. Der (zunächst) unbekannte Mann, der durch die Wälder und Grünanlagen streift und zu ungewöhnlichen Zeiten und ungewöhnlichen Orten Müll sammelt, erregt enorme Aufmerksamkeit, wie man im Netz nachverfolgen konnte, als er unlängst in einem anderen Distrikt unterwegs war. „Wer ist das? Was macht der da? Warum macht der das? Für mich ist das ein Alltagsheld“ lauten die Kommentare. (Einfach mal Rainer Schäfer, Deutsche Edelsteinstraße googeln)

Von einer „Einmischung in die eigenen Angelegenheiten“ sprach der Schweitzer Schriftsteller Max Frisch. Genau darum geht es. Auch in Mainz wird es weiterhin genug Bürger geben , die sich freuen, wenn der Robin Hood des Abfalls immer mal wieder auftaucht. Hupkonzerte, Worte der Anerkennung, Brötchen und Becher mit Kaffee als kleiner Dank der kleinen Bürger werden ihn begleiten.

Mit besten Grüßen

Henning v. Vieregge

Schäfers Weihnachtsgruß

Das war Weihnachten. Die Mainzer hat’s gefreut. (wenn auch nicht alle). Hoffentlich gibt es rosa Müll zu Ostern.

dpa  Video: http://www.sueddeutsche.de/politik/unterwegs-mit-dem-abfall-robin-hood-1.1905668

© Copyright - Henning von Vieregge