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Standpunkt

Mehr Aufmerksamkeit schafft Relevanz

Standpunkt - Mehr Aufmerksamkeit schafft Relevanz
Henning von Vieregge, RC Frankfurt/M.-Alte Oper, ist Publizist © Privat

Jeder Club braucht rotarische und nichtrotarische Unterstützer. Um diese zu gewinnen, eignen sich publikumsoffene Aktionstage mit begleitender PR-Arbeit.

Henning von Vieregge01.01.2022

Bäume pflanzen und Bürger impfen: Da gibt es mehr Gemeinsamkeiten als die Tatsache, dass beide Male die gleichen Clubs beteiligt waren. Im ersten Fall saß der Rotary Club Dreieich-Isenburg, im zweiten Fall der Rotary Club Offenbach-Dreieich im Fahrersitz, gemeinsam mit dem Rotary Club Rodgau zur Unterstützung. Begleitende Öffentlichkeitsarbeit erreichte mehrere Tausend Bürger.

Viele Clubs haben im Rahmen der Rotaract-Aktion 1 Million Trees Bäume gepflanzt. Es ist gewiss ein Gewinn, wenn Rotaracter und Rotarier zusammen etwas Sinnvolles tun. Johannes Clauss, Präsident des RC Dreieich-Isenburg, wollte aber mehr: die Beteiligung der Bevölkerung. Gegen fünf Euro Spende darf man einen Baum pflanzen. Das war die Botschaft, die vorab breit gestreut wurde. 50 Helfer standen am Morgen frierend im Wald und fragten sich, ob diese Aktion wohl erfolgreich sein könne. Am Nachmittag war die Frage beantwortet: die bereitgestellten 1000 Bäume steckten in der Erde, 200 weitere Bürger kamen nicht mehr zum Einsatz.

Und dann die zweite Aktion, ebenfalls im November: Ernst Hanisch, RC Offenbach-Dreieich, hatte die Idee und als Arzt auch die Verbindungen. Am Ende waren an zwei Tagen über 5000 Menschen geimpft, 14 Ärzte waren im Einsatz, 50 Helfer hatten unterstützt, Gesundheitsamt und Rotes Kreuz waren dabei. Wichtig: Die Warteschlange wurde betreut, es gab Ansprache und heißen Tee.

Zu beiden Aktionen ließe sich noch viel erzählen, das muss hier aus Platzgründen unterbleiben. Ich empfehle die Webseiten der Clubs und die Facebook-Auftritte. Auch gibt es deutschlandweit sicher noch viele weitere ungewöhnlich aufmerksamkeitsstarke Aktionen dieser Art. Ihr besonderer Wert liegt darin, dass sie zeigen, dass Rotary mehr ist als eine Geldausgabestelle für gute Zwecke. In beiden Fällen haben Clubs Fantasie und Mut bewiesen, etwas Ungewöhnliches zu riskieren.

„Sind wir attraktiv genug?“ Dies ist die meistgestellte Frage in den Clubs, wie eine Auswertung von 75 Clubbesuchen zeigte. Bezogen auf die Aktivitäten der Clubs lässt sich die Frage in den allermeisten Fällen mit einem klaren Ja beantworten. Aber wie gelingt es, die Öffentlichkeit besser zu erreichen? Es geht um Aufmerksamkeit und Relevanzgewinn. Bei wem eigentlich? Vorrangig doch bei potenziellen Mitgliedern. Wer sich für Rotary entscheidet, muss diese Entscheidung im Freundeskreis rechtfertigen können. Jedem Club würde deswegen neben den Mitgliedern ein breiter Sympathisantenkreis guttun. Diese Überlegungen sortieren Themen, Tonalität und Wege. Die Frage „Was habe ich davon?“ richtet sich nicht an den Absender, sondern an den Empfänger. Um sein respektive ihr Interesse geht es.

Wenn Beispiele wie die eingangs genannten schnell und umfassend Schule machen könnten, wäre der rotarischen Sache sehr geholfen. Nicht jeder Club oder jeder Distrikt muss das Rad neu erfinden. Das Problem der Multiplikation guter Praxis ist übrigens kein spezifisch Rotarisches. Dies ist in der Zivilgesellschaft insgesamt ein Schwachpunkt, der durch die Neigung von Ministerien und Stiftungen unterstützt wird, ihrerseits immer neue Programme starten zu wollen, anstatt gute Praxis durch geeignete Instrumente für den Nachbau aufzubereiten und dies zu kommunizieren.

Begleitforschung verstärkt die Wirkung

Wie können wir es bei Rotary schaffen, Projekte, die uns in der Öffentlichkeit große Resonanz und große Sympathie einbringen, so aufzubereiten, dass sie nachhaltig wirken und den Clubs mit allen auch organisatorischen Details zugänglich werden? Begleitforschung wäre wichtig, ebenso ein Team von Umsetzern, denn Clubs sind bei beiden Themen in der Regel überfordert. Der Vorzug von Aktionstagen, ausgerichtet auf einen Tag oder einen engen Zeitraum, besteht in lokaler Aufmerksamkeit. Durch deutschland- oder distriktweite zentrale Aktivitäten, unterlegt mit Ergebnissen der Begleitforschung, die zusammengeführt werden, ließe sich die Wirkung nochmals verstärken. Auch eine gesellschaftspolitische Einordnung dessen, was getan wird, erhöht die Aufmerksamkeit. Bäume pflanzen, das gehört zum großen Thema Nachhaltigkeit. Eine „Woche der Nachhaltigkeit“ mit unterschiedlichen Clubaktionen, bei denen die Öffentlichkeit einbezogen wird, wäre empfehlenswert.

Impfen, das gehört über Polio zum Markenkern von Rotary. Das kann man verdeutlichen. Und sich als weltweit agierende Organisation glaubwürdig dafür einsetzen, dass die Impfstoffe auch weltweit zur Verfügung stehen sollten.

Ob die rein ehrenamtliche Struktur ausreicht, um im Aufmerksamkeitswettbewerb auch oberhalb des Lokalen besser als bisher zu bestehen, sollte diskutiert werden.

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Henning Vieregge
Dr. Henning von Vieregge (RC Frankfurt/Main-Alte Oper) ist Publizist und Dozent. Er ist seit 2010 Lehrbeauftragter der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Sein Buch "Neustart mit 60" (Verlag Neue Ufer) ist 2016 in der 3. Auflage erschienen. Außerdem veröffentlichte er "Wo Vertrauen ist, ist Heimat: Auf dem Weg in eine engagierte Bürgergesellschaft" (Oekom Verlag, 2018) und war zusammen mit Reinhard Fröhlich, Hans-Werner Klein Herausgeber von "Clubleben im Stresstest. Rotary in der Pandemie - und danach?" (bestellbar über den Shop des Rotary Verlages.
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