Ach, was hätte man draus machen können: die Weltausstellung der Reformation in Wittenberg. BlessU2: ein medialer Welterfolg, der interne Kritiker auf den Plan ruft

28 Aug
28. August 2017

Blog 157/28. August 2017
Guten Tag,

wenn man Menschen auf die Weltausstellung der Reformation in Wittenberg 500 Jahre nach Luthers Thesenanschlag anspricht, erntet man bis in die frömmsten Kreise Ratlosigkeit. Weltausstellung?
Wittenberg? Erzählt man dann davon, durchaus mit Begeisterung, kommt die Frage: Wie lange ist die Weltausstellung denn noch? Lässt man Schlußdatum raten, kommt die Antwort prompt: bis zum 31. Oktober natürlich, dem überlieferten Tag des überlieferten Thesenanschlags. Dann gibt es einen weithin hallenden Schlußgong. Leider muss man enttäuschen: Schluß ist am 10. September. Auch so eine Merkwürdigkeit. Haben sich die Veranstalter mit Umfragen bei Wittenbergern, Ausstellern und Besuchern auf die Abrechnungsdiskussion vorbereitet? „Umfragen sind nicht vorgesehen“, sagt der verantwortliche Geschäftsführer,etwas pikiert über eine solche Frage. Keine Umfragen; Man wolle Geschichten erzählen.

Ich komme von einer Woche Freiwilligendienst in der Berufungsfabrik, einem Zeltausstellung des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD, zurück, tatsächlich randvoll mit Geschichten aus den teilweise sehr intensiven Gesprächen mit Besuchern.Aber medial lässt sich daraus nichts machen.

Die Weltausstellung ist wie die Kommunikation des Ereignisses: ohne Leitbotschaft. Schade drum, denn Teile der Ausstellung zeigen, wie es insgesamt hätte gehen können. Die Ausstellung zeitgenössischer Künstler im alten Gefängnis unter dem Titel „Luther und die Avantgarde“ beispielsweise. Beklemmende Zellenatmosphäre und Künstler , die beides nutzten: den Bezugspunkt Luther und die Freiheit der Gestaltung.Oder schauen Sie sich Fotos zum Thema „Flucht über das Wasser“ an. Auch dann ahnen Sie, warum sich der Besuch in Wittenberg lohnt (oder muss man sagen: gelohnt hätte?).

Wer seinen Besuchern überzeugend entgegenkommen wollte, brauchte Absender-Klarheit, Mut zur Fokussierung und den eingelösten Anspruch auf erstklassige Ausstattung. Drei Beispiele: die Hannoversche Landeskirche zum Thema Taufe , der Schweizer Stand , an dem u.a. drei Tütensuppen verkauft wurden: sola gratia als Bündner Gerstensuppe, sola fide als Fleicschkügeli mit Fideli und solus christus als Tomatensuppe. Und dazu aufklärende Texte. Beispiel solus christus: „Eines der wichtigsten Worte der Reformation ab 1517: Solus Christus-allein Christus öffnet uns den Zugang zu Gott -kein Papst, keine Heiligen, keine guten Werke.“ Ist die Suppe zu anbiedernd oder der Text zu abgrenzend? Man konnte genug Stände sehen, wo Bedenkenträger das letzte Wort hatten und solcherlei Treiben nicht zugelassen hätten. Und dann der Segnungsroboter. Den natürlich auch nicht: Abschalten, abschalten! Mein Gott, was für eine Aufregung. Die evangelische Akademie in Frankfurt zieht mit zwei Tagungen nach. Da soll über das Thema grundsätzlich nachgedacht werden: der Roboter und wir. Ich fände es wichtiger, darüber zu sinnieren, warum der Segnungsroboter so erfolgreich war. (und Anderes nicht). Und daraus die Schlußfolgerungen zu ziehen. Dann könnte Wittenberg der Einstieg zum Besseren werden, zu Worms 2021 zum Beispiel.

Nachtrag: Ich muss mich nach einem Abend in der Evangelischen Akademie Frankfurt korrigieren: Es ist falsch, die Themen Arbeits- und Lebenswelt 4.0 (mit dem Segensroboter als Einstieg) gegen die Diskussion zum Segnen (wieder mit Bless U 2 als Aufhänger) zu setzen. Die Abenddiskussion, gut besucht und sachlich-intensiv geführt, drehte sich vor allem um das zweite Thema. Es gab weltweit über 1000 publizistische Beiträge, nur 19 Prozent in Deutschland. Umgerechnet 1,3 Mrd. potentieller Leser. Was dies an Anzeigenwert ist, war noch nicht ermittelt worden; in der Wirtschaft ist dies ein gängiger Erfolgsmesser. Von den Gesegneten kamen 2000 Voten; ein weiterer Erfolgsmesser im kommunikativen Wettbewerb, zumal, wenn dies bedeutet, dass jeder 5., der sich segnen ließ, eine persönliche Einschätzung abgab.Die Aussprache über Zulässigkeit, Sinn und Erfolg zeigte: Der quantitative Erfolg wurde kritisch gesehen, nach der Steuerbarkeit durch den Absender gefragt und ein Gegensatz zwischen Kirche vor Ort und solchen Aktionen beschworen. Auch die Hinweise auf Qualität in Wittenberg (die Voten, der Besuch der Segnungsgottesdienste, die persönlichen Gespräche,die vielen Erstbegegnungen mit dem Thema „Segen“) wurden vielfach relativiert gegenüber theologischen Bedenken. („Kann und darf ein Roboter segnen?“) Begriffe wie Resonanz, Relevanz und Reputation, um die jede Organisation im Wettbewerb steht, sind in ihrer Bedeutung für Kirche bei vielen Hauptamtlichen offensichtlich noch nicht präsent. Dass die erfolgreiche Präsenz der EKHN mit Lichtkirche und Segnungsroboter in Wittenberg auch einen Beitrag zur Sicherung der Institution Kirche einschließlich ihrer Arbeitsplätze lieferte, ist innerkirchlich kein Thema. Entsprechend klein ist der Mut zum Experiment. Der dieses Mal kämpferische Kirchenpräsident gestand ein, nach seinem Einsatz für den Segnungsroboter schlaflose Nächte gehabt zu haben.Gut, dass wenigstens ein Kritiker sagte „Wir müssen mehr Fehlertoleranz haben. Wir brauchen mehr Experimentierräume. Deswegen war der Segnungsroboter richtig.“

Mit herzlichen Grüßen
Henning v. Vieregge

© Copyright - Henning von Vieregge