Regeländerung aus Minderheitenfurcht

30 Apr
30. April 2017

Blog 148/Mai 2017
Guten Tag,
ich gehe zum 2. Mal auf ein Thema ein, das symbolisch wichtig ist, weil es zeigt, dass Mehrheit im Bundestag (und nicht nur dort) trotz aller Beschwörungen plutraler Gesinnung im Zweifelsfall Minderheiten benachteiligt.In diesem Fall geht es um die nun offenbar unumkehrbar auf den Weg gebrachte Änderung der Definition „Alterspräsident“ des Bundestags. Bis dato war das der älteste Abgeordnete. Er oder sie hatte das Pribvileg, den Bundestag zu eröffnen und dabei eine Rede zu halten. Zukünftig soll es nach dem Willen von CDU und SPD der dienstälteste Abgeordnete sein.Die LINKE enthielt sich, weil sie fand, die Begründung müsste lauten, dass die Mehrheit im Bundestag antifaschistisch ist, die GRÜNEN empfanden die Regelung als eine „Lex AfD“.

Die Wahl steht vor der Tür und der AfD dürfte der Einzug in den Bundestag gelingen. Und da diese Partei, anders als die Konkurrenz, Neulingen in höherem Alter die Kandidatenchance gibt, droht eine Eröffnungsrede durch einen AfD- Mann. Um das zu verhindern, soll zukünftig der dienstälteste Abgeordnete reden; so wollen es CDU und SPD. Begründung: Es müsse gewährleistet sein, dass der Bundestag von einem geschäftsordnungsfitten Politiker eröffnet wird. Wie fadenscheinig diese Begründung ist, zeigt der Blick in die Vergangenheit. Im Falle des Schriftstellers Stefan Heym, der als Kandidat der PDS (heute Linke) 1994 als ältester Abgeordneter in den Bundestag einzog, fand sich eine Lösung, die man auch jetzt hätte anwenden können: Man zog damals die Wahl des Bundestagspräsidenten in der Tagesordnung vor die Rede des Alterspräsidenten. Die Demokratie hat die Eröffnungs-Rede eines von der Mehrheit ungeliebten Linken damals ausgehalten, warum sollte sie am Gegenteil (wenn es denn das Gegenteil wäre) zugrunde gehen? Vielleicht sollten sich alle Parteien im Bundestag, die jetzt und die zukünftig vertretenen, mal über die Fragwürdigkeit von Ausgrenzung im demokratisch-pluralen Diskurs verständigen. Und dann Willkommenskultur, die sie vom Bürger einfordern, bei sich selbst praktizieren. Denn die ist im Rahmen unserer Grundordnung unteilbar.

Mit besten Grüßen
Henning v. Vieregge

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