Südafrika 2: Es gibt mehr Positives als Landschaft und Wein

16 Mrz
16. März 2017

Blog 143/ 16. März 2017

Guten Tag,
Südafrika ist ein wunderschönes Land. Eines der schönsten und vielfältigsten der Erde. Es hat ordentliche Straßen, gute Hotels, hervorragende Restaurants und allerbeste Weine. Die Menschen sind zumeist herzlich und aufgeschlossen.
Dem werden die Sorgen vieler Menschen, nicht nur der Weißen, gegenübergestellt. Gibt es denn auch Positives? Hier einige Beobachtungen:

Dass man in der Nichtbargeld-Bezahlung weiter ist als in Deutschland, fällt nachdrücklich auf. Ein Installateur repariert bei K. die Waschmaschine, nennt anschließend den Preis für seine Leistung und K. überweist ihm die Summe vom Handy. Der Handwerker bekommt die Bestätigung der Transaktion auf seinem Handy. Neulich, erzählt K. kam ein Anruf eines Vetters von J., der Hausgehilfin aus Zimbabwe: der Vetter benötigte dringend Geld, nachdem er gerade in Johannesburg angekommen war. K. überwies ihm sein OK über eine bestimmte Summe auf dessen Smartphone und damit kam der Cousin an Bargeld. So kann Menschen geholfen werden, die kein Konto haben und aufgrund ihres Status auch keines eröffnet bekommen.

Pretoria ist in der Innenstadt sauberer und die schönen alten englischen Handels- und Bankpaläste, aber auch der Sitz des Bürgermeisters sind frisch gestrichen und frei von Graffiti. Sofort wächst die Lust, herumzuspazieren, und das Gefühl der Sicherheit, auch im grünen, pflanzenbestückten Bürgerpark. Rund um die Melrose Villa, einem Museum über das Leben eines Neureichen in der viktorianischen Zeit, fühlten wir uns beim letzten Mal unwohl und verunsichert.Dieses Mal überhaupt nicht dieses Unsicherheitsgefühl. Macht sich schon die neue Administration, gestellt von der DA, bemerkbar? K. berichtet, auf einmal klappe die Ablesung der Stromzähler und die Rechnung komme prompt.

Zum Abschied trafen wir uns mit A. und Familie auf einer Farm bei Irene, also zwischen Joburg und Pretoria. Die Farm ist eigentlich eine Baumschule, erweitert um eine angenehme Atmosphäre unter Bäumen mit Amüsiermöglichkeiten für Kinder wie Sandmalerei, Gesichtsanmalen, Reiten, Schaukeln in aufgehängten Reifen. Man kann Tiere streicheln und füttern wie Schweine, Hühner, Alpakas, Ziegen, Schafe. Meerschweinchen, Pfauen usw. Und man kann essen und zu trinken. Man zahlt Eintritt und bekommt nach zehn Eintritten einen Baum. Erwachsene und Kinder genossen die Stunden. Das war wieder das entspannte naturbezogene Südafrika.

Oder das Uber Beispiel. Uber gibt es in den großen Städten Südafrikas. A. und K. berichten getrennt davon, beide begeistert. Uber kommt schnell, ist sicher (die Daten von Fahrer und Passagier werden ausgetauscht), es gibt einen Festpreis, das Ganze bargeldlos und die App funktioniert weltweit. K. erzählt, wie er in Mexiko City Uber nutzte. Fahrer und Passagiere beurteilen sich wechselseitig. Trinkgeld wird nicht gezahlt. K. erzählt, mit Uber gebe es keinen Grund, betrunken nach Hause zu fahren, zumal Uber zumeist preiswerter sei als die normalen Taxis. Und er miete auch bei Geschäftsbesuchen in Kapstadt keinen Wagen mehr, sondern nutze Uber. Er kann auf seinem Display sehen, wie viele Ubers in unmittelbarer Nähe sind. Ihm als eingefleischtem Marktwirtschaftler gefällt, dass der Preis mit der Nachfrage steigt (alles transparent), gleichzeitig aber natürliche weitere Fahrzeuge anlockt, wodurch sich der Preis wieder neu einpendelt.
Uber könnte auch in Deutschland vielen Menschen Nebenverdienste bescheren und Transportprobleme auch außerhalb der Städte lösen, wenn man , wenn notwendig, Subventionen in den Öffentlichen Verkehr (große Busse fahren leer durch die Gegend) durch ein Vouchersystem ersetzte. Und Bürgerbus-Aktionen in den Markt überführte. Denn warum sollen Bürger andere Bürger für lau durch die Gegend kutschieren? Nur, weil der Staat die Einführung eines besseren Systems unter den üblichen Vorwänden verhindert? Wahrscheinlich muss es bei uns einmal mehr die EU richten.

Mein vorletzter Punkt ist die Solidarität in den Townships. Mir fielen einige Zeitungsartikel auf, in denen berichtet wurde, wie Townshipbewohner einander helfen. Solche Berichte setzen Kontrapunkte zu den Berichten über Kriminalität und Gewalt insbesondere in den armen Gegenden oder Berichten über fremdenfeindliche Übergriffe und Plünderungen. Beides ist wohl richtig. Da wird ein Baby entführt, vielleicht sogar ungewollt, weil die Gangster, die eine Mutter mit ihrem größeren Kind zum Aussteigen zwangen und den Wagen übernahmen, möglicherweise das Baby auf dem Rücksitz übersahen. Etwa 100 Nachbarn suchten das Baby die ganze Nacht. Sie wollen die Suche fortsetzen. Oder eine erregte Nachbarschaft protestiert gegen die Freilassung eines Mannes, der sich an seiner kleinen Tochter vergangen haben soll. Oder: Nachbarn bewerfen das Haus eines Magistratsvertreters, der für diese Nachbarschaft zuständig ist, mit Steinen und protestieren damit gegen dessen angebliche oder tatsächliche Bestechlichkeitt. Sie zählen die Autos auf, die dieser Staatsvertreter sein eigen nennt, und fragen, wie er sich dies von seinem Gehalt leisten kann. Bei Trevor Noah las ich mehr darüber, wie die „Hood“ ihre Bewohner schützt und gleichzeitig festhält. Wer aufsteigt, muss die Nachbarschaft verlassen.

Die Frage, die allenthalben diskutiert wird, ist die, was nach Präsident Zuma passiert, dessen Amtszeit spätestens in zwei Jahren ausläuft. Er kann nach zwei Amtszeiten nicht wiedergewählt werden. Zumas Ablösung ist so oft wie vergeblich gefordert worden. Er hat über 100 Strafverfahren gegen sich laufen und wird versuchen, eine Nachfolge zu installieren, die ihm Generalpardon gewährt. Wenn das geschähe, würde dem weiteren Abstieg Südafrikas nicht mehr viel im Weg stehen.
Andernfalls ist die Kraft der Institutionen beachtlich. Thuli Mandonsela, die als eine Art Rechnungshofleiterin fungierte und unbeirrt von allen Angriffen dem Präsidenten und anderen ihre schweren Vergehen vorhielt, ist kein einsames Beispiel: Der Präsident (dieser!) bestellt Menschen in Positionen in der Annahme, sie würden als willfährige Werkzeuge fungieren. Das aber passiert nicht immer. Im Gegenteil: Die Berufenen nehmen ihre Aufgaben ernst, handeln nach Verfassung und wachsen an Zivilcourage über sich hinaus. Nicht die Menschen verbiegen die Institutionen, sondern die Institutionen formen die Amtsinhaber. Die Institutionen bewähren sich gegenüber dem Ansturm des Egoismus. Das gibt Hoffnung.

Mit besten Grüßen
Henning v. Vieregge

P.S. Ich empfehle Trevor Noah „Born in Crime“, im vorigen Jahr in Südafrika und den USA erschienen, jetzt auch unter dem Titel „Farbenblind“ in deutscher Ausgabe. Warum? Das Buch vermittelt er vorragend, weil aus eigenem Erleben , nicht nur die Nöte der Apartheid, hier aus der Sicht eines Kindes, das weder schwarz noch weiß ist sondern beides, sondern auch die Nöte der Streitigkeiten innerhalb der verschiedenen Gruppierungen in einer Township Südafrikas. Das Besondere an dem Buch ist, dass erzählt wird, oft sehr komisch und immer genau und elegant. Es geht nicht um den Aufstieg des jungen Trevor Noah, den das Time Magazin jüngst zu den ersten 10 Nachwuchs Führern der Welt zählte, sondern um die phänomenale Leistung der Mutter, die ihr Kind allein aufzog und mit ihrer Art befähigte, aus der Township auszubrechen

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