Evangelische Kirchenführung verstösst gegen die wichtigste Regel der Offenen Gesellschaft: Du sollst nicht ausgrenzen

29 Nov
29. November 2016

Blog 134/November 2016

Guten Tag,

Der Philosoph Hans Joas sagte unlängst im Deutschlandfunk ( http://www.deutschlandfunk.de/kirche-und-politik-hoeren-wir-den-protestrufen-aufmerksam-zu.886.de.html?dram:article_id=372220.) folgendes:

Meine Sorge gegenüber den Kirchen ist, dass – in dem Fall vor allem die evangelische Kirche – sich aus gut nachvollziehbaren Gründen, aber so einschränkungslos auf die Linie von Bundeskanzlerin Merkels Flüchtlingspolitik stellt und selbst so abwertend redet über diejenigen, die Bedenken gegenüber dieser Politik haben, dass dasselbe Phänomen, das gegenüber den politischen Parteien eintritt, auch gegenüber der Kirche oder den Kirchen in Deutschland eintreten kann.“

Ich finde, man kann der Bundeskanzlerin nicht vorwerfen,dass ihre großen Entscheidungen (Energiewende, Griechenland-Dauerrettung und zeitweise grenzfreie Öffnung gegenüber Flüchtlingen) alternativlos erschienen. Es ist vielmehr die Aufgabe der politischen Opposition, dafür zu sorgen, dass Entscheidungen , insbesondere solche von so großer Tragweite, nach gründlicher öffentlicher Debatte bei Verdeutlichung aller Alternativen fallen.Und der Medien natürlich. Beide haben mit dazu beigetragen, dass gegen die wichtigste Regel einer Offenen Gesellschaft verstoßen wurde: auch andere Wahrheiten außer der eigenen können wahr sein und verdienen Beachtung und Respekt und keine moralische Abwertung.

Und die Rolle der Kirchen? Die Kirchenführer vieler anderer europäischer

Ländern kommen in den genannten drei Themen, insbesondere in der Flüchtlingsfrage, zu anderen Positionen. Sind sie deswegen unchristlich? Das müssten die Kirchenführer hierzulande doch zur Diskussion stellen. Es gibt doch nicht nur eine gültige Bibelauslegung. Und vielleicht hilft die Bibelauslegung in diesen Fällen gar nicht weiter; dann sollte der eigene Standpunkt erst recht nicht moralisch überhöht werden. Ist aber nicht genau dies der Fall? Beispiel: Heinrich Bedford-Strohm nahm in einer Glosse in Chrismon kürzlich Stellung zur Frage, ob Deutschland nur christliche Flüchtlinge aufnehmen solle. Er verneinte das entschieden. Seine Antwort „Leid kennt keine Religion“.https://chrismon.evangelisch.de/blog/auf-ein-wort/32744/henrich-bedford-strohm-hilfe-fuer-christen-hat-keinen-vorrang-bibel

Dazu einige kritische Anmerkungen:
Heinrich Bedford-Strohm begründet in seinem Beitrag am Beispiel einer geschundenen jesidischen Familie, warum er es ablehnt, dass unser Land nur christliche Flüchtlinge aufnimmt. Auf Deutschland bezogen rennt er mit dieser Position einer religionsüberschreitenden Nächstenliebe offene Türen ein. Aber: Nicht jeder Wunsch nach Familienzusammenführung wird erfüllt werden können. Was ist hierzu die Position der EKD? Und: Soll die Religion bei vergleichbaren Fällen eine Rolle bei der Entscheidung spielen, zum Beispiel unter dem Gesichtspunkt unterschiedlicher Chancen auf Rückkehr in die Heimat oder unterschiedlicher Chancen auf Integration hier? Klare Kante nur im Mainstream ist für den Ausbau und die Verteidigung unserer Offenen Gesellschaft zu wenig. Da sollten wir Glaubensbürger von unseren Kirchenführern mehr Konsensstörung und Diskussionsöffnung einfordern.

Mit herzlichen Grüßen
Henning v. Vieregge

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