Alles Lügen? Medien und Leserschaft in einer ZEITserie

29 Jun
29. Juni 2015

Brief 1oo/Juli 2015

In der ZEIT startete in 26/2015 eine Serie „Alles Lügen?“, in der die Medien im Mittelpunkt stehen. Demnach ist das Vertrauen in die politische Berichterstattung bei 70 Prozent der Leser unverändert, bei 2 Prozent gestiegen, bei 28 Prozent gesunken. Meine Anregung an die ZEIT: den Umgang der engagierten Spezie  nicht vergessen: dem Leserbriefschreiber.

Hier der Brief an die Leserbrief-Redaktion:

​Liebe Frau v. Münchhausen (oder wer sonst immer hier liest),
ich finde es gut, dass sich die ZEIT der Beziehung Medien-Leser annimmt.
Bitte widmen Sie einen Beitrag der Frage, ob die Medien kundenfreundlich beim Thema Leserbrief verfahren. Cordt Schnibben vom SPEGEL hat hier vor einiger Zeit mit einem längeren Beitrag einen Stein ins Rollen gebracht, indem er freimütig eingestand, wie arrogant oft Journalisten​ mit Menschen umgehen, die sich für das Gedruckte schriftlich interessieren. Über 1200 Zuschriften, ein eigener Leserblog und Lesertreffen mit der Chefredaktion waren die Reaktion. Das Thema ist also relevant, was die Redaktionen aber weithin noch nicht begriffen zu haben scheinen.
In den Ethikverpflichtungen taucht dieses Thema jedenfalls nicht auf.
Als Beitrag jenseits der Sonntagsreden drucke ich Ihnen hier etwas ab: Lokalzeitungsjournalist im Weihnachtsstress antwortet Leser, der einige Wochen nach Einsendung eines Leserbriefs höflich nachfragt, ob der angekommen sei:
 Sehr geehrter Herr von Vieregge,trotz bevorstehender Weihnachtsfeiertage muss ich Ihnen eine etwas patzige Antwort geben: Angesichts der zahlreichen Leserbriefe, die allwöchentlich bei uns eingehen, hätte ich wahrlich viel zu tun, wenn ich jedem Schreiber den Eingang seines Leserbriefes bestätigte. Tut mir leid: Das ist nicht zu machen. Und eine Absage mit Begründung erst recht nicht.

Nichts für ungut, bitte. Frohe Festtage

Jens Frederiksen

Jens Frederiksen Ressortleiter Feuilleton, Allgemeine Zeitung Erich-DombrowskiStr. 2, 55127 Mainz

​Der Versuch, den Journalisten zu einer wenigstens kleinen Entschuldigungsmail zu animieren, um die Sache dann  vergessen zu können, schlug fehl. Nach  Nachhaken in der Spitze meldete sich immerhin der Chefredakteur am Telefon, versprach dies und jenes  und wich  der erbetenen Rückmeldung aus. Die Zeitung ist in Mainz wie so viele Lokalzeitungen an ihrem Ort Monopolist, die (schwache) Gegenwehr des Lesers findet im Netz statt. (www.vonvieregge.de, Stichwort Leserbrief)
Mit besten Grüßen
Henning v. Vieregge
Aus der Antwort von Anna v. Münchhausen, ZEIT-Textchefin und verantwortlich für Leserbriefe
Ich gebe Ihnen vollkommen recht, dass die verbreitete  herablassende Haltung der Medien  Leserinnen und  Lesern gegenüber  absolut nicht mehr zeitgemäß ist. Das von Ihnen angeführte Beispiel der Mainzer Zeitung spricht Bände, und natürlich habe ich auch die Mea culpa-Initiative von Cordt Schnibben mit großem Interesse verfolgt. Für uns hier würde ich allerdings in Anspruch nehmen, dass die ZEIT  mit ihren Lesern  immer schon sorgsam kommuniziert hat.
Wir haben kürzlich auch darüber diskutiert, wie mit den Kommentaren auf  ZEIT-online umzugehen ist – insbesondere dann, wenn es sich um rüde anonyme Beschimpfungen handelt. Ob man  anonyme Reaktionen per se ausschalten soll, darüber konnte bislang noch keine Einigung erzielt werden. Es gibt interessante Argumente pro und contra.
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