„Es gibt nicht nur die eine Aktion Gemeinsinn“

11 Mai
11. Mai 2015

Brief 94/ Mai 2015

Guten Tag,

am 30.4. 2015 fand die Abschlussveranstaltung der Aktion Gemeinsinn im Haus der Geschichte, Bonn, statt. Die Aktion, 1957 gegründet mit dem Ziel, über das Medium Werbung, insbesondere in Form von pro bono Anzeigen, den Gemeinsinn in Deutschland zu fördern, beendete ihre Arbeit mit der Vorlage eines Fazitbuches mit dem Titel „Gemeinsinn. Vom Mutmachen sich einzumischen“, in dem die über 50 Werbe- und Informationskampagnen  nochmals Revue passieren. Bei der Abschlussveranstaltung diskutierten u. a. Rita Süßmuth, Georg Baums, Ivo Bethke, Wolfgang Fürstner, Thomas Krüger und CC. Schweitzer. Cornelie Sonntag-Wolgast moderierte.

Ich war, zusammen  mit Christian Wilmsen, Vorsitzender der Aktion Gemeinsinn. Hier mein  Fazit aus der fast sechzigjährigen Geschichte der Aktion.

Aus der Rede:

Ohne Vertrauen in die verantwortliche eigene Entscheidung, in die Fähigkeit und Bereitschaft des Einzelnen, nicht nur an sein Wohlergehen, sondern auch an das der anderen oftmals vom Leben hart Getroffenen und  Betroffenen zu denken, lässt sich eine aktive, selbstbewusste und handlungsstarke Gesellschaft ebenso wenig aufbauen wie ein sinnvolles individuelles Leben… (30f)

Ohne das starke ICH gibt es kein starkes WIR,  Umgekehrt ist es natürlich genauso: ohne ein starkes WIR kann auch das ICH nicht erstarken. Ausgangspunkt muss der wechselseitige Respekt sein (32)

Meine Damen und Herren, liebe Freunde, Freundinnen, Begleiterinnen und Begleiter der Aktion Gemeinsinn, Sie haben es wahrscheinlich erahnt: ich bin mit einem Zitat meine Rede eingestiegen.  Dieses Zitat drückt besten aus, was die Aktion Gemeinsinn bewirken wollte.  Starkes wir UND starkes ich– das war der Kompass, der unsere Suche nach Kampagnenthemen über fünf Jahrzehnte  auf Kurs hielt.

Ich entnahm diese Sätze dem Buch „Das Gift des Politischen, Gedanken und Erinnerungen“. Sehr verehrte Rita Süssmuth, seien Sie herzlich begrüßt!

Ich lese Ihnen aus dem  Grußwort der Bundeskanzlerin vor:

„Eine lebendige Kultur des sich Einmischens und Mitmischens ist keineswegs selbstverständlich. Aktive Bürgerschaft ist vielmehr eine Zumutung. Sie verlangt Mut, für sich und für andere Verantwortung zu übernehmen. Sie erfordert Mut, Entscheidungen zu treffen, auch wenn deren Forlgen nicht zweifelsfrei absehbar sind. Sie lebt vom Mut, sich auf andere einzulassen und sich nicht darauf zu verlassen, dass sich andere engagieren.“

Wir haben nun  mit dem Eingangszitat, den Voten von Prof Biermann und Bürgermeisterin Klingmüller und dem Zitat der Bundeskanzlerin schon gut Diskussionsstoff entlang dreier Leitfragen. Sie lauten:

  1. Was konnten wir bewirken?
  2. Warum steigen wir aus?
  3. Was ist unser Vermächtnis?

Zu allen drei Fragen stehen Antworten in unserem Abschlussbuch. Mir bleiben Akzente.

Zur Wirkung:

Wenn es heute darum geht, die Pforten der Aktion Gemeinsinn zu schließen, müssen wir den Blick zurück nicht scheuen. Das eben erwähnte Buch, das wir Ihnen heute vorlegen, führt diese Verdienste vor Augen. Es war unsere Absicht, unsere  Kampagnen, Veranstaltungen und Materialien auf diesem Weg noch für eine Weile wach zu halten. Ohne Ulrich Schmid als verantwortlichen Publisher  und Wahid Sarwar als Grafiker wäre uns diese Publikation nicht gelungen.

Hier mein erster Akzent: Meine Damen und Herren, liebe Begleiter der Aktion Gemeinsinn, stellen Sie die einzelne Kampagne ins jeweilige Zeitumfeld und prüfen Sie, inwieweit es den damals Verantwortlichen der Aktion Gemeinsinn gelungen ist, ein Thema zu finden, das weder zu utopisch noch schon abgegrast war und dennoch wichtig.  Denn nur so besteht eine reelle Chance auf Einflussnahme. Politik – und Kommunikationswissenschaftler sprechen heute vom Nudging. Sie  meinen  damit die Möglichkeit von Einflussnehmern, zum richtigen Zeitpunkt auf richtige Weise durch einen kleinen Schubs ein Thema im Kampf um Aufmerksamkeit an die Spitze zu befördern, also dahin, wo Veränderung möglich ist. Genau das haben wir mit den Mitteln der Kommunikation versucht. Wobei wir auf die  Qualität der Kampagnen- Gestaltung Einfluss nehmen konnten, auf die Abdruckmenge der Anzeigen kaum oder gar nicht.

Und warum setzen wir dies nicht fort, Leitfrage 2?

Bei einer Abschiedsveranstaltung besteht die Gefahr jeder Trauerfeier: der Verstorbene wird hemmungslos gelobt. Dagegen mögen wir als Personen, die wir involviert waren, keine Einwände haben, aber es tut der Sache nicht gut. Denn es hieße, die Chancen einer Massenkommunikation, Handlungs Veränderungen zu bewirken, völlig zu überschätzen, wenn eindimensionale Kausalität zwischen der Botschaft einer Kampagne und einer Veränderung im politischen, wirtschaftlichen  und gesellschaftlichen Raum reklamiert würde. Es ist im Gegenteil das Kernargument unserer Beschlusslage, die Arbeit der Aktion Gemeinsinn einzustellen: die Kommunikationsbedingungen haben sich derart entscheidend verändert, dass mit den Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, Aufwand und Ertrag in eine Schieflage geraten sind. Aus der kommen wir mit unseren überschaubaren Chancen, Ressourcen zu aktivieren, nicht heraus. Wir haben dies nach einem sorgfältigen fast zweijährigen Sondierungsprozess konstatieren müssen. Ich danke allen internen und externen Experten für ihre Mitarbeit. Hier mein zweiter Akzent: Wer an der Richtigkeit unseres Auflösungsbeschlusses zweifelt, dem steht der Weg zur praktischen Konsequenz aus dieser Anzweifelung offen.

Leitfrage 3: Was bleibt als Vermächtnis?

Akzent Nummer Drei:  Wir bekennen uns zum  Segen des Scheiterns. Wir 68er und wir Babyboomer –hier im Raum nicht gerade unterdurchschnittlich vertreten-  haben vom Scheitern wenig mitbekommen. Wir sind Glückskinder der Menschheitsgeschichte und somit Pechvögel beim Scheitern, je nachdem. Aber nicht nur der Einzelne, auch Organisationen können scheitern. Und es kann gefragt werden, was daran gut ist. Die Aktion Gemeinsinn  ist mit ihrer Form des Scheiterns –Ankündigung eines mögliches Endes vor zwei Jahren, Schluss- Publikation und dieser Schlussveranstaltung-  im Konzert der Nonprofitorganisationen  einen ungewöhnlichen, ich meine mutigen und hoffentlich fruchtbringenden  Weg begangen. Dieser Weg war auch intern nicht unbestritten, wie könnte es anders sein. Aber ist ein stolzer Abgang  nicht besser als stilles Davonschleichen aus dem Feld der Aktivität?  Hier waren der Ehrenvorsitzende der Aktion, Prof CC Schweitzer, und ich einer Meinung.  Wir setzen ein bewusstes Signal in der Zivilgesellschaft:  Notwendigkeit und Bedingungen einer erfolgreichen Kommunikation für Gemeinsinn, starkes ich und starkes wir, können  ohne Rücksicht auf uns diskutiert werden. Denn wir haben das Spielfeld verlassen, sichtbar für jeden. Aber nichts als Depris, sondern als unbeirrt pragmatisch-realistische Optimisten.

Akzent Nummer Vier: Ich möchte zum guten Schluss diese Haltung mit einer kleinen Geschichte verdeutlichen, die der Journalist Hajo Schumacher aufschrieb. Schumacher berichtet von einer Podiumsdiskussion, wo er mit anderen sich darin überboten hatte, die Lage in Deutschland möglichst schwarz zu malen. Politik, Bürger, Wirtschaft, Zukunft: Apokalypse now and ever. Da habe ein fünfzehnjährige Mädchen vom Saalmikro aus gesagt: Wir sind doch nicht hier, um uns anzuhören, das alles keinen Sinn hat, dass alles im Eimer ist, dass wir sowieso keine Chancen haben, weil alles den Bach runter geht. Wir wollen etwas lernen, wir wollen was machen und bewegen. Aber das können wir nur, wenn Sie uns wissen lassen, wie das geht.“ Das war vor zehn Jahren. Schumacher hat diese Aufforderung zum praktischen Optimismus zu einem Buch „Mut für Deutschland“ mit wunderbaren Geschichten über bürgerschaftliches Handeln angeregt. Elmar Pieroth hat dieses Buch wiederum zur Gründung der Stiftung Bürgermut inspiriert. Das waren und sind die Mut machenden Kettenreaktionen, auf die es ankommt. Heute können wir sagen: Wer genau hinschaut, sieht: Als wir starteten, gab es eine Aktion Gemeinsinn. Heute gibt es Hunderte, wenn nicht Tausende Aktionen Gemeinsinn, unter welchem Namen auch immer. Und weitere werden folgen.

Das ist unser Vermächtnis. Es drückt sich aus im Titel unseres Fazit Buches: Gemeinsinn.  Vom Mutmachen, sich einzumischen.

Mit besten Grüßen

Henning v.Vieregge

P.S. Das Buch ist im Buchhandel erhältlich.

 

 

Schlagworte:, , , , , , , , , , ,
© Copyright - Henning von Vieregge